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Dauerhaftes Morgenrot

Dauerhaftes Morgenrot

Titel: Dauerhaftes Morgenrot
Autoren: Joseph Zoderer
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vorsichtig über ihren Kopf gestrichen.
    Etwas später hatte er die Vorhänge aufgezogen und die Balkontür geöffnet: Durch den Nebel leuchtete mit zerfließenden Konturen die Mondsichel. Er kochte Livia Kaffee, heiß, warnte er, und ihre Lippen zuckten vom Tassenrand zurück.
    Eine Haarsträhne fiel ihr ins Gesicht, eine kaputte, müde gewordene Locke, dachte Lukas und dachte zugleich an ein baumelndes Messer, das nicht ins weiche Fleisch fuhr, sondern über ihrem Gesicht zum Stillstand kam und dann schräg über dem Auge in der Senke zwischen Nase und Wange lag. Er streckte nicht die Hand aus, er wischte ihr nicht die Strähne aus der Stirn. Bitte, sagte er, kannst du nicht für einen Augenblick deine Haare nach vorn schütteln, und er sagte nicht: damit sie deine Augen ganz verdecken.
    Livia hatte ihn zum Zug gebracht und umarmt, flüchtig, wir haben einander ja schon lange nicht mehr festgehalten.
    Unser erstes Zimmer am Meer war eine fensterlose Schachtel, mit schmiegsamem Gras vor der Tür. Ein halbverödetes Dorf, und weiß schimmerndes Karstgestein am Ufer. Immer stand die Zimmertür offen, einen Spalt wenigstens.
    Er sah den verzogenen Mund eines Clowns vor sich, bei seiner Abfahrt hatte ihm Livia diesen verzogenen Mund entgegengestreckt, den er sonst nie sah, und er hatte die feinen Hautlinien bemerkt, die sich in die Richtung des abfahrenden Zuges verzerrten, und dieses Zusammenpressen des Blicks, wobei sich Ober- und Unterlippe gleichzeitig aus- und vorstülpten, der Mund sich trichterförmig verengte, dieser Fischmund, dieses kontrollierte Ausatmen des Schmerzes, diese Anstrengung in jeder Sekunde, um die zuckenden Gesichtsmuskeln unter Kontrolle zu haben, auf daß diese Verzerrungen wenigstens ein Gleichgewicht erhielten, eine rhythmische Ausgeglichenheit. Mit diesem dunkelblonden Haar geht sie, wann immer ich die Augen schließe, von mir weg, mit diesem steifen, gesammelten Gehen, während der Zug aus dem Bahnhof hinausrollt.
    Wir haben, sagte er in das leere Abteil hinein, wir, die voneinander nichts wollten, immer jedenfalls so taten, als wollten wir auch in Zukunft nichts voneinander, wir haben im Auto während eines Junigewitters und später auf dem Balkon von Freunden das Lachen zurückgehalten, und der Ernst, Johanna, hat unsere Kehle gekitzelt, wir wollten einander das Lachen abschauen, und gleichzeitig haben wir unsere dunklen Pupillen gesehen.
    Er starrte aus dem Zug auf gemähte Wiesen, auf den Regen und die überlaufenden Dachrinnen an den Bahnhöfen. Zu Hause wurden bei windigem Wetter die Zweige der Eschen geschüttelt, und im Mai hatte er in das staubige Blau des Maihimmels geschaut, über den die Wolken noch wie Schneeflecken trieben, er hatte Zeit, auf einen Spinnfaden zu achten, der ein Fenstereck überquerte, und gleichzeitig hielt er nichts mehr von seinen leise dahergesagten Antworten.
    Es goß, als er in ein Taxi stieg, der Fahrer kümmerte sich nicht um ihn, Lukas zwängte sich auf den Rücksitz, auf bekleckerten Velour, mit den Spitzen einer Hand hatte der Fahrer die Tür aufgehalten, bis Lukas mit verrutschtem Hut und schon naß unter dem Heckfenster kauerte.
    Der Portier des lächerlich schmalen Hotels mit den fünf Etagen schaut ihm aus einer schwarz tapezierten Nische entgegen. Ich lese nie Zeitung, bekennt er, als ob das für Lukas wichtig sein müßte, ich sehe die Straße im Spiegel, das genügt, ich zeige Ihnen das Zimmer, wenn Sie wollen. Es liegt im letzten Stock, im fünften, es ist zu Fuß erreichbar, der Lift fährt nur bis zur vierten Etage.
    Ein weiches, durchhängendes Bett, ein Hurenbett, aber ein Fenster über den Dächern der Altstadt, dunkelgrüne Holzläden, deren Flügel Lukas einklinkt, während ihm der Regen ins Gesicht schlägt.
    Ich kann mir deine Narbe vorstellen, nicht deinen Tod, ich habe nie deine Narbe berührt.
    Unter dem Dachgebälk sieht er Vögel kauern, Tauben, mit rötlichgelben Krallenzehen. Wichtig ist, daß das Fenster fast so breit ist wie das Zimmer schmal, ich liege in einer Art viereckigem Schiebefach, zwei Meter fünfzig hoch, zwei Meter breit und drei Meter lang, das Fenster dem Bettende gegenüber.
    Und so ruhten seine Füße sprungbereit zur Straßenseite hin. Wenn er die Holzläden zuzog, puppte er sich ein mit Finsternis, aber wenn er die Läden aufstieß, hatte er das Licht, den Tag oder
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