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Dauerhaftes Morgenrot

Dauerhaftes Morgenrot

Titel: Dauerhaftes Morgenrot
Autoren: Joseph Zoderer
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Spiralen, er folgte mit den Augen Livias Kopfneigung und ihrer Hand, die den Taschengriff von der Schulter löste, und sah sie einschlafen mit noch jugendlicher Todesschwäche, ja, sie würde wegschlafen können, obwohl oder vielleicht weil sie noch immer einen Sonnenfleck oder einen Grasfleck oder einen Schneefleck bewundern konnte: Schön – grün – weiß. Sie läßt ihn ihre Waden küssen, läßt ihn ihre Fußknöchel abschlecken, ihre Fußsohlen, die Haut zwischen ihren Zehen. Und er befeuchtet ihre Kopfhaare, er sucht mit der Zunge ihren Scheitel. Ich habe deinen Geruch gesucht, ganz am Anfang habe ich deinen Geruch gesucht, ich mochte deinen Schweiß und deinen Atem.
    Von Zeit zu Zeit stieß er das Hotelfenster sperrangelweit auf, die Fensterflügel und die Holzjalousien, und mit dem Bauch an die Brüstung gedrückt freute er sich, wenn er den Wolfshund drüben am Hügelhang in seiner Umzäunung herumspringen sah in einem verwilderten kleinen Garten; eingeschlossen von einer Gattertür und durch einen zwei Meter hohen Zaun ließ man das Tier unter dem Khakibaum hin und her rennen auf einer Lauffläche, die nur doppelt so groß war wie das Hotelzimmer, in dem Lukas zwischen Bett und Schrank herumlief. Er beobachtete das nervöse Hin- und Hertrotten des Hundes, dem Freund und Feind fehlten, er bellte, jaulte in die Luft, es schien, als bellte er nichts als Luftsäulen über sich an, aber plötzlich begann er in einer Ecke zu wühlen, mit den Pfoten Erde aufzubuddeln, und dann hatte er den Knochen gefunden, freigelegt und im Maul. Und bald verscharrte er ihn wieder, nicht weit vom alten Versteck.
    Ich habe dich nie in ein Versteck geschleppt, obwohl du immer meine Komplizin warst, schon damals, zwischen dem einen und anderen Sandhügel ohne größere Aussicht. Es war, als gingen wir einen endlosen Zickzackweg.
    Aber Livia klagte über nichts, sie hörten endlich das an- und abschwellende Murren, das manchmal zerplatzte wie ein aufgeblasener Papiersack. An den Sträuchern sah er da und dort Fetzen hängen, die sich im Wind bewegten und aus der Ferne schimmerten. Er blieb vor einem Strauch stehen, der gelb blühte, und Livia stellte sich neben ihn, und er sagte: ein Absinthstrauch. Sie legte ihren Arm um ihn und hielt, ohne daß sie es hätte wissen können, auf diese Weise den Schweiß auf, der ihm den Rücken herunterlief, später vergruben sie eine leere Blechbüchse unter den Zweigen im Sand. Ein heißer Wind schleuderte winzige Körner gegen die Haut; wenn er mit der Handfläche über das Gesicht wischte, rieb er Sand über Stirn und Wangen. Das Lärmen kam näher, wurde lauter und drohender, so daß sie plötzlich zu laufen anfingen, eine Düne hinaufrannten und endlich das Wasser vor sich sahen, eine langgeschwungene Bucht, zersägt von Felsausläufern und Gesteinsrippen. Der Sandstrand brach in Stufen ab, auf denen Algenschleifen vertrockneten, einige dünne Tamarisken warfen Schattenflecken, Livia ließ die Tasche fallen und ging bis zur Wasserlinie vor; weit draußen glitzerte das Meer, aber vor dem Strand türmte sich die Flut zu petrolblauen Wellen auf. Lukas schlüpfte aus Hemd und Sandalen.
    Geh nicht hinein, sagte Livia.
    Nein, sagte er, ich stecke nur die Füße ins Wasser.
    Langsam sah er sie davongehen, einer Felszunge zu, die weit hinausragte, und wo ihm das Meer ruhiger schien. Er watete ein paar Meter in die Gegenrichtung und ließ sich von Gischtspritzern übersprühen, später legte er sich neben Livias Tasche hinter eine Tamariske. Im Sand, auf dem die Flutwellen ihre geschwungenen Linien zurückgelassen hatten, entdeckte er den blaßgrünen Kalkpanzer eines Seeigels, fleischlos und stachellos, er erreichte ihn liegend mit den Fingerspitzen und lauschte auf die sparsame Musik, die die Sandkörner im Schaleninneren mit ihrem Rieseln erzeugten, wenn er den Hohlkörper dicht an seinem Ohr schüttelte.
    Er hatte seine Brille in den Sand gesteckt und sah Livia nun durch einen gleißenden Nebel, schmalhüftig und auf hohen gespreizten Beinen, er sah, wie sie ihre Bluse über den Kopf zog und hinter sich in den Sand warf, wie sie aus ihren Jeans und der Wäsche glitt und die Kleidungsstücke zwischen übermütigen, staksigen Schritten in einem Halbkreis verlor, nackt tanzte sie der Wasserlinie entlang, die Hände in
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