Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dauerhaftes Morgenrot

Dauerhaftes Morgenrot

Titel: Dauerhaftes Morgenrot
Autoren: Joseph Zoderer
Vom Netzwerk:
Schulterhöhe von sich streckend, als ob sie über ein gespanntes Seil balancierte, manchmal aufspringend, unvermutet zur Seite hüpfend, nie weiter als bis zu den Knien planschte sie durchs Wasser, kauerte sich sekundenlang auch in die heranlekkenden Wellenzungen, um im nächsten Moment wieder hochzuschnellen, er hörte ihre Schreie, diese spitzen Laute, die sie noch nackter machten. Plötzlich begann sie, ohne die weggeworfenen Kleidungsstücke aufzulesen, in weit auseinandergezogenen Spiralen über den Strand zu laufen, immer weiter von ihm fort. Er empfand stärker als vorher diesen an der Haut zerrenden Wind, sah die Wolkenstriche, und auch die Schaumflocken, die im Ufersand versickerten. Livia stand plötzlich auf einem Stein und bewegte sich für Minuten nicht, ihre Haut, schien ihm, flimmerte weiß in der Luft, sie wird krank, schreiend krank werden, dachte er und rief sie, aber sie wollte oder konnte ihn nicht hören und wandte sich ihm nicht zu, er hatte den Oberkörper aufgerichtet, stemmte sich auf einem Ellbogen ab, und rief noch einmal, da bückte sie sich und hob etwas auf, das er nicht erkennen konnte, und kam auf ihn zu. Der Wind blies über den Strand, wirbelte Sandwolken auf, er sah Livia in der Sandwolke die Muschel oder den Seestern, vermutete er, von einer Hand in die andere nehmen, er sah ihr Hantieren und ließ seinen Oberkörper wieder zurücksinken in den Sand, der nicht kühl war, auch wenn er im Schatten lag. Es ist wahr, daß ich mir keine Gedanken machte über deine Gedanken, auch wenn ich dir zusah, deinen Bewegungen, dieser Strand war mir etwas ganz und gar Eigenes, und ich dachte, wir leben, ich fragte mich nicht, ob du in diesem Moment etwas anderes fühltest.
    Sogar wenn er das Hotel nur auf ein Sandwich oder ein Bier verließ, empfand er sein Vorbeigehen an der Portiersloge jedesmal wie ein Entkommen, obwohl er meist langsam ging und sein Entkommen im Spiegel gegenüber der schwarzausgeflaggten Loge betrachtete, er beobachtete sein langsames Entkommen, sein Vorbeischlendern am Pult der Rezeption, in der dieser aufgedunsene Portierskopf residierte mit dem Lachen seines Kunstgebisses. Auf der Straße fuhr Lukas ein Windstoß über das Gesicht, so daß er unwillkürlich nach dem Hut griff und ihn an der Krempe festhielt, gleichzeitig spürte er etwas Nachgiebiges unter dem Fuß, sah, daß sich unter seiner Schuhsohle ein Taubenflügel spreizte und bückte sich, hob den erstarrten Vogelkörper auf; nirgendwo sah er eine rote Spur auf dem Trottoir, ein plötzliches Autohupen erschreckte ihn, so daß er den Kadaver mitten auf der Gasse fallen ließ und, nachdem der Wagen zu langsam an ihm vorbeigefahren war, keine Lust mehr hatte, sich wieder zu bücken und einen Flügel anzufassen, diese Taube würde so oft zertreten und überfahren werden, bis sie sich in eine Leichtigkeit verwandelt hatte, die der Wind aufwirbeln und davontragen konnte, ganz wie die Blätter der Hinterhofbäume, die halbverwest und gefroren und irgendwann getrocknet und zerstäubt an die Fenster der Büros oder der Schlafenden fliegen würden. Eigentlich fürchtete er sich vor einer Begegnung mit Johanna, vor einer plötzlichen Gefühllosigkeit, auch vor ihrer Gefühllosigkeit, und trotzdem begehrte er zeitweilig nichts so sehr wie diese betörende heftige Leere, wie diesen endlosen Strand; Livia hatte ihre Haare nach vorn geworfen, so daß ihr Gesicht von Strähnen verdeckt war, sie hatte Ringe um ihre Brust gezeichnet, mit einem Finger Kreise um die Brust gedreht, und sie ließ ihre Beine einknicken, links und rechts seiner Hüften, sie hielt die Handflächen über ihre Schultern, als ob sie ihn hätte freihalten wollen von der Belästigung ihrer Haarspitzen. Der Himmel war nicht bewölkt, obwohl Hitzedunst über dem Horizont lag. Sie waren unter die salztropfenden Zweige der Tamarisken gekrochen, Schweißperlen wurden von seiner Haut auf ihre Haut gepreßt, sie hatten sich Mund an Mund im Sand gerollt, bis seine Knie sich über Livias Bauch auseinanderzogen und er ihre Lippen geöffnet unter sich sah, ihre Haare im Sand und Sandkörner in ihren Haaren, je tiefer sie sich in den Sand wühlten. Später lachten sie über die Salztropfen, die von den Zweigen auf ihre Haut gefallen waren und die sie zuerst für Baumöl gehalten hatten.
    Es gab nur diese schüttere
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher