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Dauerhaftes Morgenrot

Dauerhaftes Morgenrot

Titel: Dauerhaftes Morgenrot
Autoren: Joseph Zoderer
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sandiger, zeitweilig überquerten sie verödete Weinäcker, die von Flugsand zugedeckt waren, manchmal hoben sie den Fuß über eine gewundene Rebe, die vereinzelte grüne Blätter trug und gelegentlich eine verkümmerte Traube. Livia zeigte mit der Hand auf eine Agave, deren gebogene Blätterspieße überklebt waren von Schnecken, braun und schwarzweiß linierten Schnecken, deren Schleim rund um ihr kleines Gehäuse getrocknet war, es knisterte, wenn sie ein Schneckenhaus vom Blatt brachen. Der Hund, ein Mischling mit weißen Pfoten, lief vor ihnen her über die höher werdenden Sandhügel, die zum Teil besetzt waren von stacheligen Sträuchern, an denen keine Blätter mehr saßen, sondern dicht aneinandergereiht diese Macchiaschnecken, von denen Lukas einmal zwei volle Teller gegessen hatte und Kognak dazu getrunken, so daß er am nächsten Morgen in den Schatten der Klippen kriechen mußte, um sich im Uferwasser zu erbrechen.
    Eine längere Strecke legten sie auf einem Karrenweg zurück, der früher wohl zu den Weinäckern geführt hatte und jetzt beinahe eingeebnet war vom Sand, nur da und dort sahen sie einmal abgeschliffene Steine, graue Karststeine, und die Schleifspuren eisenbeschlagener Räder, und hie und da noch Teile von Weggemäuer, das durchbrochen war von Macchia oder von Ohrenkakteen und manchmal von einer einzeln blühenden Agave. Livia trug das Badezeug in einer Strohtasche, die sie abwechselnd über die linke und die rechte Schulter hakte. Von Zeit zu Zeit blieb sie stehen und lauschte auf irgendein Geräusch, aber es gab nichts zu hören, oder fast nichts, kein entferntes Meeresrauschen, kein Vogelgeflatter, nur das Eintauchen der Sandalen in den Sand. Einmal stellte Livia die Tasche nieder und kauerte sich daneben hin, er sah, wie sie mit den Fingern ihr Haar nach vorne über das Gesicht kämmte und es dann wie einen Vorhang an den Spitzen faßte und straff zog. Er zeigte auf eine schwarze, verdorrte Orange neben seinem Fuß, er reichte ihr die von der Luft gehärtete Kugel, ein weißgrüner Fleck erinnerte an den Schimmelmuff, ein Auge, ein zugewachsenes Auge, der Lidstrich war unkenntlich geworden.
    Zuallererst, am Anfang, hatte er Livia nur als Gesicht gesehen, ihre großen gelangweilten Blicke, die über ihn und vielleicht auch über die Köpfe der anderen hinweg schweiften, ihre Gleichgültigkeit zog ihn an, reizte ihn, regte ihn allmählich auf.
    Obwohl sie grüngraue Augen hat, sah ich am Anfang ein fast aufdringliches Himmelblau, das ihre Wangenknochen beinahe auslöscht. Sie hat selten einen Satz zu Ende gesagt, aber immer wieder unerwartet gelächelt. Wenn sie aufstand, schien sie sich kaum zu bewegen, aber immer, fast unmerklich, rundeten sich ihre Bewegungen, sie bot sich an, wenn sie nichts davon zu wissen schien, kaum einmal, daß sie von sich aus zu reden begann, sie suchte kein Gespräch, wandte sich eher lächelnd ab.
    Er hatte sie an vielen Abenden stumm zwischen den Gesichtern der anderen beobachtet, und an einem Nachmittag waren sie einander vor dem Telefon- und Telegrafenamt entgegengekommen, sie trug einen braunen, wuscheligen Mantel, der ihn an das Fell eines Waschbären denken ließ, aber es war tatsächlich ein brauner Schafpelzmantel, in den er sein Gesicht drückte. Er fragte sich oft, ob Livia ihn damals, an diesem Nachmittag, als sie in einer Bar Wein und Apfelsaft tranken, mit dem Satz verblüfft hatte: Ich bin glücklich, oder ob er ihn nur gehört haben wollte und ihn deshalb so für sich ins Gedächtnis geformt hatte.
    Sie wateten eine Düne hinauf und hatten, als sie die Höhe erreichten, wieder nur andere Sandhügel und Sandrücken vor sich, die meisten höher als der, auf dem sie standen. Im Osten bekamen sie einen dunklen Bergbuckel in den Blick, im Westen verlief sich die gewellte Öde, und dort mußte auch das Meer sein. Er bildete sich ein, mit geschlossenen Augen ein Murren zu hören und stellte sich das rhythmische Schwappen des Wassers vor, und je länger er die Augen zusammenkniff, desto deutlicher hörte er ein dumpfes Maulen. Er hatte Livia beruhigt und gesagt: Was wir jetzt haben, haben wir, und was wir gehabt haben, kann uns niemand mehr nehmen.
    Er sah die Verschlußkappe eines Plastikkanisters und den abgebrochenen Hals einer Bierflasche, Windspuren oder die Anflugspuren großer Vögel in verwehten
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