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Dauerhaftes Morgenrot

Dauerhaftes Morgenrot

Titel: Dauerhaftes Morgenrot
Autoren: Joseph Zoderer
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Himmel über dem Meer sah, aber nicht das Wasser, erst vom Rande des Platzes aus überblickte er die Stadt bis zum Hafen hinunter, zwischen der dünnen Doppelreihe der Zypressen sah er, wie ein Mann seine Kleider wechselte.
    Trotz des schon grau werdenden Nachmittags hatte der Platz die Verlassenheit eines Morgens, es wohnten hier nur wenige Menschen, und die anderen hielt die Kälte in der Stadt unten, Lukas lehnte sich an eine Trägerrippe der Basilika. Schon zuvor hatte er in einer Ecke, seitlich vom Hauptportal, Remos massige Gestalt zu erkennen geglaubt, vor grellen, an die Wand gelehnten Farbflecken, ja, und seine über die Stirn hinaufgerollte schwarze Wollmütze. Lukas wollte sich nicht umarmen lassen, aber er wußte, daß Remo ihn umarmen würde, sobald er sich von der Mauer gelöst hätte und auf das Portal zugegangen wäre. Also schlenderte er noch einmal zwischen den Säulenstümpfen herum, zwischen diesen abgeknickten, abgenagten, amputierten versteinerten Beinen, diesen blutlosen abgesäbelten Marmorstümpfen, und steuerte schließlich in spitzem Winkel auf das Basilikator zu, so daß Remo höchstens noch einen in der Kirche verschwindenden Rücken bemerken konnte. Statt aber entschlossen vorwärts zu drängen, wandte er im Windfanggehäuse den Kopf um und blickte in Remos erhobene Hand, die eben auf seine Schulter herunterfahren wollte, um ihn mit einem zupackenden Griff zu erschrecken, nun aber legte Remo gelassen seinen Arm um Lukas und zog ihn am Revers wieder hinaus vor das Portal in seinen Ausstellungswinkel. Na! blaffte er ihn dort mit seiner Raucherstimme an. Mit dem Schuh drückte er an den gegen die Wand gelehnten Bildern herum, ich will gar nichts von dir hören, sagte er, eigentlich keuchte er ihn an, ich mach ja keine Vernissage, er wischte mit einer Hand durch die Luft: größtmögliche Entfernung vom Objekt ergibt größtmögliche Nähe zur Realität, hahaha. Lukas ließ sich von Remo an die Brust ziehen, und mit blinzelnden Augen sah er sich die Bilder an: fotografisch exakte Wiederholungen eines Madonnenkopfes mit Faltentuch, ein grellbelichtetes En-face-Portrait von Gianna, Giannas süßlich lächelndes Fotogesicht: Ich könnte so ein Bild nie haben.
    Ich weiß, ich weiß, hörte er Remo, und gleichzeitig vibrierte die klopfende Hand auf seinem Kopf, ich bin, sagte der Koloß, ja kein Schönwettermacher, ich paß nur auf, daß du heil in die Basilika hinein- und herauskommst, und einige andere auch.
    Drinnen, im Winkel hinter der Schwenktür, stützte sich Lukas mit einem Ellbogen an der Mauer ab, er wollte möglichst lange die Augen nicht öffnen, wollte sich vorerst auch abschirmen von jedem Geräusch und preßte die Hände gegen die Ohren, nur den in der Luft hängenden Geruch fremder Körper ließ er an sich heran und den Duft von verbranntem Wachs und Weihrauch, der sich vermischt hatte mit billigen oder teuren Parfüms und den hereingewehten Abgasen der Stadt, auch mit der salzigen Meeresluft.
    Er genießt den Raum, der von seinen Augen und seinen Ohren begrenzt wird und durch diese Grenze eine große Ausdehnung erfährt, als ob sie mehrere Schiffe aneinandergebunden hätten, Bauch an Bauch, das Beben der aneinanderstoßenden Bauchwände ist nur sehr entfernt wahrnehmbar, so wie sich die Dunkelheit unter den Füßen kaum aufhellt, eher verdichtet, er kann nur ein flimmerndes Mosaik erkennen, auch wenn er die Augen aufreißt. Die zwei Marmorengel, die er als Kind links und rechts der Altäre gewohnt war, fehlen, er weiß es, ohne die Augen aufzureißen, der weiße Marmor ihrer gefalteten Flügel ist nicht da, er weiß es. Es gibt eine kaum abzählbare Anzahl von Verstecken an ihrer Statt, Seitenaltäre aus vielen Jahrhunderten, die selbständig geworden sind in der Dunkelheit oder kahl vor Schrecken, nur durch Knopfdruck jäh mit gelbem Licht ausgestrahlt, minutenlang schimmern silberglänzend die Schwerter und die Pfeile, die ins Fleisch gedrungen sind und ins Herz, das hier zur Schau gestellt ist ohne warmes, sprudelndes Blut, aber mit einem Silberglanz, der sich verdunkelt, wenn die Minuten der bezahlten Beleuchtung um sind.
    In den braungedunkelten Bänken sitzen zu beiden Seiten des Mittelganges verstreut einige Gestalten, er denkt an das Gasthausgewölbe der Kartenspieler, die Mauern bieten da wie dort einen
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