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Dauerhaftes Morgenrot

Dauerhaftes Morgenrot

Titel: Dauerhaftes Morgenrot
Autoren: Joseph Zoderer
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windgeschützten, regenfreien Unterschlupf. Aber außer dem Öllicht brennen hier keine Lampen, und die hoch aufstrebenden Säulen stehen wie vermummt in diesem Halbdunkel, jeder Laut vereinzelt sich, jeder Schritt hallt wider unter den hohen Bögen, Lukas, der seit einer Weile die Augen offenhält, kann zunächst kaum eine Bewegung ausmachen, doch seit er die Hände von den Ohren genommen hat, werden ihm bestimmte Geräusche zunehmend vertraut, wie dieses unregelmäßige und doch wiederkehrende Tappen und Rutschen von Füßen, auch das Einziehen und Ausblasen von Atem, vermischt mit halb unterdrückten Kehllauten, gekeuchtem Flüstern und dem Wischen von Stoff über Holz oder Stein.
    Links und rechts sieht er je einen Opferstock: Für die Armen, und mit einer Spendenbitte für die Erhaltung der Basilika, seitlich davon brennen ein paar dünne hochstengelige Kerzen auf einem schwarzen Eisenständer mit Dutzenden von verschieden hoch aufragenden Spießen, deren Schärfe jede Kehle, jeden Gaumen, jede Zunge durchbohrt hätte.
    Er setzte sich in eine der letzten Bänke, das gewellte Holz der Banklehne drückte gegen sein Rückgrat, er zögerte, aber es zwang ihn, warf ihn fast vornüber auf die Knie, er preßte sein Brustbein für Augenblicke an den schmalen Banktisch, dann ließ er sich nach einigem Zaudern auf den Sitz zurückgleiten, diese Ruhe hatte er seit Jahren aus den Ohren verloren, er erkannte sie wieder in der Farbe der Säulenquader, in dem Schimmern des blanken grauen Steines, in der Steinplatte neben einer Bank, in der Abgewetztheit des Holzes, auf dem er gekniet hatte, in der Höhe des Raumes, in der Weite des nach oben gewölbten Schiffes, in dessen tönendem, leerem Rumpf er kauerte. Schräg vor sich, nur wenige Bankreihen entfernt, fielen ihm zwei dunkle Mantelrücken auf, Büsten von hinten besehen, die sich zueinanderneigten, allmählich mit den Köpfen sich vereinten zu einem unförmigen großen Punkt, dessen Ränder sich verschoben, er sah auch einmal eine auftauchende Hand, und wenig später diese Hand um den anderen Kopf herumfahren. Als er auf dieses Paar aufmerksam wurde, nahmen auf einmal, scheinbar zufällig, jedenfalls nicht gleichzeitig, sondern nacheinander, auch andere dunkle Flekken in den langen Bänken seitlich des Mittelschiffes allmählich bestimmte Umrisse an, deren Linien bei längerem Hinsehen scharf wurden, so daß Lukas bald in jeder Bank entweder an dem einen oder an dem anderen Ende eng aneinandergerückte Paare ausmachen konnte, deren Arme sich kaum einmal hoben.
    Von Zeit zu Zeit erstrahlte ein Seitenaltar in strahlendem Gelb, wenn ein verirrter Tourist, dachte Lukas, mit ein paar eingeworfenen Münzen die Beleuchtung einschaltete, aber möglicherweise war das Aufblitzen der Lichter eher ein Wiederholungsritual, denn jedesmal kam eine geräuschvolle Bewegung in die Gestalten, und einige rückten plötzlich auseinander.
    Fast immer außer Sichtweite für ihn, hörte er an den Wänden die kleinen Geräusche der hin- und hergeschobenen Vorhangringe in den Beichtstühlen und das Aufziehen der Tür und das Schließen.
    Einmal betrat ein Mann in einer weißen Kutte die Apsis, zwischen Tabernakel und Altar beugte er unter der rotleuchtenden Öllampe das Knie, und im selben Moment bemerkte Lukas das Vorwärtsschlurfen einer Person vom Seitengang her, vorbei an den Beichtstühlen, das eilige Schleichen eines Mannes, den er zu erkennen glaubte an seiner katzenhaften Beweglichkeit. Der Kuttenträger ging um das Chorgestühl und wandte sich dem Seitenschiff zu, von wo der dicklippige Fotosammler – Lukas hatte kaum noch Zweifel – ihm entgegenkam; die beiden begegneten einander zwischen Seiten- und Hauptaltar an einer Stelle, die kaum einsehbar war, wie Vertraute, Lukas glaubte gesehen zu haben, wie sein Bekannter sich über die Priesterhand buckelte, und wie ein Arm des Mönchs sich um die Schultern des Dicklippigen legte, bevor sie hinter eine Säule traten. Erst nach einer Weile bekam Lukas die weiße Kutte wieder in den Blick, er sah den Mönch nach einer flüchtigen Kniebeuge in der Tür verschwinden, neben der das goldene Brokatband der Sakristeiglocke hing.
    Mit dem Verdämmern des Tageslichts hinter den hohen Fenstern und der Mosaikrosette über dem Portal belebten nur mehr die wenigen Kerzen neben der
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