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Das Zeit-Tippen

Das Zeit-Tippen

Titel: Das Zeit-Tippen
Autoren: Jack Dann
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dies womöglich der Prüfung eines alten Hauptbuches gleichkäme, bei der jede Spalte der Erinnerungen im kalten Licht der Reflexion aufgerechnet wird. Es war so, als würde er durch ein Museum ausgestorbener Trivialitäten geführt.
    Nicht mit einem Knall, sondern mit Wimmern, dachte er. Der alte Nazi hatte recht.
    Mantles Blickfeld änderte sich wieder. Er hatte das Gefühl, außerhalb des Grabes zu sein; er sah alles schwarz und silbern, Schatten über Schatten. Die hohen silbrigen Olivenbäume ragten in eine Schwärze, die er sich tiefer nicht hätte vorstellen können. Zwischen den Bäumen hatten sich die Schreier versammelt. Ihre Gedanken waren die Dunkelheit, ihr Atem der silberne Wind, der Mantle davontrug…
    Noch ein Wechsel. Jetzt blickte Mantle an dem Grab vorbei, das so silbrig war die die Bäume, und vorbei an der schattenschwarzen Gemeinde der Schreienden Kirche zu den Wächtern am Eingang des Golfes von Frejus, die Der Löwe des Landes und Der Löwe der See genannt wurden – hinter ihnen lag das Meer, dessen Wellen Metallsensen, Klingen glichen, die durch die Dunkelheit schnitten.
    Mantle war verloren, trieb ab. Wenn er sich jetzt im Verstand eines anderen befand, so war dieser Verstand völlig abgestorben und würde keine gerade Linie auf einem EEG hervorrufen.
    Und er fühlte, wie er selbst fortgerissen wurde: an den Schreiern zwischen den Bäumen vorbei, an dem Grab und seiner Gemeinde vorbei, an den Felsen Wächtern vorbei bis ins Meer.
    „Mein Gott, nein“, schrie er und versuchte, irgendwo Halt zu finden; aber er war schwere- und machtlos, etwas Gazehaftes, das über das Wasser geweht wurde. Es glich dem Erwachen aus einem Alptraum, um sich in einem anderen wiederzufinden. Seine Schreie waren stille Strömungen. Es gab nur das wogende, sich endlos ausdehnende Meer – und direkt unter seiner Oberfläche schwammen all die entsetzlichen Geschöpfe der Seele.
    Sie schwammen auf ihn zu.
    Es ist bloß eine Maschine, sagte sich Mantle nochmals und versuchte zu begreifen, daß er wirklich neben einem toten Schreier in einem Steingrab lag.
    Dann ein silberner Blitz. Bilder schossen hervor. Ellen und Pfeiffer, die sich stinkend und dampfend in einem dunklen Zimmer paarten. Sie hockte auf ihm, stützte sich mit Händen und Knien ab und pumpte ihn in qualvollem Zeitlupentempo aus. Ihr Gesicht glühte in silbernem Feuer und widerspiegelte Mantles eigene Qualen. Und Pfeiffer lag bewegungslos da, so steif wie der Tote, und wartete auf einen Orgasmus, der ihn wieder zum Leben erwecken sollte.
    Mantle schaute zu, und es wurde ihm übel. Er war sicher, daß es sich hierbei nicht um eine Halluzination handelte; er blickte durch einen Schleier. Sie vögelte nicht einfach mit Pfeiffer – sie warf sich weg. Laß mich Josiane finden und mein Leben wiedergewinnen. Ich liebe dich, hör damit auf.
    Sie erbebte, als es ihr kam…
    Und Mantle war im Meer verloren, das langsam anschwoll und nach ihm griff, um ihn herabzuziehen und zu ertränken…
    „Ich atme nicht mehr. O Jesus, Gott, Wakan Tanka…“ Aber darin lag der Sinn des Traumes, des Selbst in dem Traum, das sich selbst außerhalb des Traums fühlte. Darin lag auch die Erkenntnis, daß die Gedanken, die ihm durch den Sinn gingen, nicht nur seine eigenen waren.
    Ich liege in dem Grab neben dem Schreier, sagte sich Mantle und versuchte, sich daran zu klammern und es zu glauben, indem er sich den Stimmen verschloß, die er zu hören fürchtete.
    Aber die Schreier zogen ihn in den Abgrund, in das Silber und die Finsternis, damit er Teil ihres leblosen Verbindungsgewebes werde. Er wurde von Schreier zu Schreier gereicht und existierte in der Leblosigkeit zwischen ihnen, in unendlichen Seelenräumen, in all den dunklen Räumen, die Träume umgeben, in den Regionen des Todes.
    Er hörte ihre Stimmen und sah ihre Gedanken, ein strudelndes und brodelndes Gedankenmeer. Ein ozeanischer Verstand: Stimmen, Bilder, Erinnerungen, gekräuselte Oberflächen.
    Er fühlte, wie Gewebe zerriß und ihm die Vergangenheit erschloß. Und die Stimmen führten ihn hinein.
    „Ich will nichts mehr sehen“, schrie er in die Dunkelheit, in die Leblosigkeit, die das Leben aus ihm saugte. Er fürchtete sich vor dem Sehen und Hören. Die Schreier hatten ihm etwas weggenommen, das spürte er. Und nun würden sie ihm seine Vergangenheit wiedergeben.
    Sie kehrte in Silber und Schwarz gehüllt zurück.
    Er erinnerte sich, erinnerte sich an Josiane, alle Augenblicke, alle Erinnerungen kehrten
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