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Das Zeit-Tippen

Das Zeit-Tippen

Titel: Das Zeit-Tippen
Autoren: Jack Dann
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Stein dem Göttlichen als Gefäß dient. Er ist seinem Wesen nach unveränderlich, kann zu den schönsten Formen gestaltet, aber nicht von menschlichen Leidenschaften entweiht werden und ist außerdem dauerhafter als jedes Fleisch.“
    „Glauben Sie das wirklich?“
    „Das habe ich nicht nötig“, sagte Roberta. „Ich schaue zu dem Stein auf und sehe ihn sprechen. Ich höre den Schreier, so wie ich Sie höre.“
    „Mein Gott!“ sagte Mantle vor sich hin.
    „Ja, Ihr Gott“, sagte Roberta lächelnd.
    Die Anbetenden, die alten Leute und die boutades, die Kinder, das Stadtvolk und die gepflegten Herren und Damen, diese Vertreter verschiedene^ Klassen, Kulturen und Lebensstile, bebten und weinten und schwitzten und beteten in allen Sprachen, als sie zwischen Bewußtsein und Trance hin und her gerissen wurden und in die finsteren Orte, die toten Orte schauten, ohne den Steckkontakt zu finden.
    „Lassen Sie es zu“, flüsterte Roberta.
    Mantle lauschte – was ihm wie eine Minute vorkam – gebannt dem beharrlichen Aria ariari isa, vena amiria asaria. Unsinnige Worte, die aber doch etwas zu bedeuten schienen, wenn er nur den Rhythmus finden, seinen Verstand darauf konzentrieren könnte…
    Seine Gedanken glichen Funken im Wind. Er war noch nicht in Trance gesunken: Er konnte noch analysieren und katalogisieren und mit Furcht und Sehnsucht dem bevorstehenden Steckkontakt entgegensehen.
    Die Musik schien ihn zu umringen; er wurde auf den betonten und unbetonten Silben des Aria fortgetragen, das genauso exakt wie Lyrik war, aber keinen Sinn ergab – jedenfalls nicht für die analytische linke Hälfte seines Gehirns.
    Er trieb in Zeitlupe dahin. Unverständliche Worte verstopften seinen Verstand. Roberta kann meine Gedanken lesen, sagte sich Mantle und verspürte wieder die Angst in ihm hochsteigen, die aber zugleich außerhalb von ihm zu liegen schien. Doch es ist schon so lange her, dachte er.
    Er versuchte, die Schein-Schreier von sich abzuschütteln.
    „Habt ihr die Luft mit Halluzinogenen durchtränkt?“ fragte er Roberta.
    „Würde das Ihnen etwas helfen?“
    „Das ist keine Antwort“, sagte Mantle, während er umherschaute und sich bemühte, alles im Blickfeld zu behalten. Er betrachtete die Idole und sah, daß sie jetzt Gesichter hatten. Vielleicht war es das Gesicht des Schreiers in dem Grab. Ein großer Stein bei dem Dolmen hatte ein Frauengesicht. Es war das Josianes – es schien sich zu bewegen, ihn anzustarren. Das Bild war im Stein und absolut dreidimensional. Er blinzelte, und es verschwand.
    „Das ist ein verdammt billiger Trick“, sagte Mantle.
    „Was?“ Ihre Stimme hob sich im Rhythmus des Ariara isa.
    „Die Bilder auf euren Idolen; sie werden von Laserstrahlen projiziert. Verwendet ihr die ganze Serie des Unterbewußten? Sehr hochgestochen für so eine primitive Zeremonie.“ Aber Robertas Gesicht sah dem Josianes so ähnlich. Einen Augenblick lang war es das Josianes.
    „Lassen Sie es einfach zu“, sagte Roberta und schaute ihn dabei so eindringlich an, als wäre er eines der Steinidole.
    „Scheiße“, sagte Mantle. Nur ein Augenblick war vergangen. Sein Verstand war wieder klar. Der Regen, der von neuem einsetzte, tat auf seinem Gesicht gut. Er war spürbar und wirklich.
    Mantle und Roberta hatten sich bisher im Rhythmus unterhalten, wobei sie am Ende jeden Satzes die Stimme senkten und seufzten, um sie dann wieder zu heben. Sogar Mantles Gedanken hielten sich an den Rhythmus, der überall auf der Welt gefunden werden konnte, von den Umbanda-Trance-Zeremonien in Sao Paulo angefangen bis zu den Holy Rollers in Binghamton.
    Er war in die Falle gegangen, reingelegt worden. Jetzt stürzte er wieder in die hohlen, metallischen Regionen seines Unterbewußten, zu den Orten, die er fürchtete, die er nur in seinen Bildern aufsuchte, die er ausgeschlossen und zugemauert hatte seit seinem mißglückten Trip mit bewußtseinserweiternden Drogen, mit Aufklärungsdrogen. Es gab keine Aufklärung, nur nacktes Metall. Seine Haut war feucht und er in Schweiß gebadet.
    „Verflixt noch mal, hier ist doch Rauschgift in der Luft?“ fragte er gereizt.
    „Wir haben Sie nicht gebeten herzukommen“, sagte Roberta. „Sie haben kein Recht, gereizt zu sein, einerlei, was wir tun. Sie nutzen uns aus. Das ist unsere Zeremonie.“ Sie spie ihm nun die Wörter ins Gesicht, oder bildete er sich das nur ein? Zum Teufel mit ihren Drogen und ihrem Unterbewußten, dachte er. „Wir haben uns nicht verpflichtet,
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