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Das Zeit-Tippen

Das Zeit-Tippen

Titel: Das Zeit-Tippen
Autoren: Jack Dann
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Sie bei der Hand zu nehmen und Ihnen, Punkt für Punkt, unseren Gottesdienst zu erläutern“, fuhr sie fort.
    „Lassen Sie diesen scheinheiligen Mist“, sagte Mantle. „Ihr Freund Pretre hat mich bereits erpreßt.“ Die Drogen isolierten ihn, und er hatte Angst, allein zu sein, das Gefühl zu haben, daß nur er wirklich war, daß alle anderen Schemen waren. „Ich will beim Steckkontakt nicht unter Drogen stehen.“ Er bildete sich ein, daß der Nebel sich in Schleier verwandelt hatte, die sich ihrerseits zu polymerisiertem Plastik um das von Laserstrahlen projizierte Bild verhärteten.
    „Sie möchten Ihre Frau und Ihr Gedächtnis wiederfinden“, sagte Roberta. „Was spielt es schon für eine Rolle, wie Sie das anstellen, nüchtern oder benommen? Es sollte Ihnen nur auf das Ergebnis ankommen.“ Es klang wie ein Glissando.
    „Warum hat Pretre Sie zu meiner Führerin ausgewählt?“ fragte Mantle, um das Thema zu wechseln und sie auf sichereren Boden zurückzuführen. Er wußte, daß er sie nötig hatte, denn sie allein war substantiell; die anderen waren Schatten, Schemen – er glaubte, daß er, wenn er sie bei sich zu behalten vermochte, seine klaren Gedanken und seinen gesunden Menschenverstand trotz des Drogenstaubs bewahren könnte.
    „Ellen Otur sollte eigentlich deine Führerin sein. Ich sollte sie dabei nach Möglichkeit unterstützen.“
    „Nur weil…“
    „Ich deiner Frau ähnlich sehe. Natürlich ist das rein zufällig…“
    „Das will ich doch hoffen“, sagte Mantle, und ein Lächeln huschte über sein Gesicht.
    Nach einigen Pulsschlägen sagte sie: „Ich habe meinen Mann verloren, so wie Sie Ihre Frau verloren haben. Auch ich litt an Amnesie.“
    „Und deswegen sind Sie der Kirche beigetreten?“ fragte Mantle. „Um ihn zu finden?“
    „Ich habe einem Steckkontakt unter dem Vorwand beigewohnt, der Kirche beizutreten. Aber ich bin der Kirche aus innerer Überzeugung beigetreten.“
    „Haben Sie ihn gefunden?“
    Sie erschauderte und sagte: „Ich werde ihn heute nacht treffen.“ Mantle spürte, daß sie sich wieder verschloß, aber er drängte sie weiter. „Und wie steht es mit Ihrer Amnesie, haben Sie Ihr Gedächtnis wiedergefunden?“
    Sie beachtete ihn nicht, sondern starrte zu dem Grab hin. Mantle war nun allein und verwundbar. Die Anbetenden warteten stumm, wobei sie in einem imaginären Rhythmus zuckten und sich hin und her wiegten, als könnten sie gespaltene Feuerzungen und den brausenden Wind der heiligen Geister sehen und hören. Alles war still oder eher in ein weißes Geräusch getaucht.
    Dann trat Pretre aus dem Grab. Eine eindrucksvolle Gestalt: Sein Gesicht war mit Asche oder vielleicht mit Schmutz beschmiert. Wie er da nackt vor dem Dolmen stand, hätte er ein Olmeken-Priester ohne Mütze und Umhang sein können oder der graue Bischof von Karthago oder ein judäischer Prophet oder ein indianischer Pejuta Wicasa. Einen Augenblick war er all das zugleich; dann war er wieder nur noch ein Glaubenseiferer, ein törichter, dickbäuchiger Mann, der alles auf den Kopf stellte, um zu der primitiven autoritären Welt eines Kindes zurückzukehren.
    Mantle sah ihn deutlich, sah ihn als Visionär und als Narren, die einander überschichteten, und schämte sich für ihn und schämte sich für sich selbst und für Roberta und für all diese Anbetenden, die sich einbildeten, ihre Kultur wie eine feuchte Decke abschütteln zu können; sie alle taten ihm leid, der Nebel und der Drogenstaub und die Idole und die Olivenbäume und die Transkapseln taten ihm leid, besonders aber die Klippen des Cap Roux.
    Die Klippen taten ihm leid?
    Und mit einem Ruck erkannte er, daß sich die Drogen seiner wieder bemächtigt hatten.
    Er bemühte sich, sich zusammenzureißen. Er ergriff Robertas Hand in der Hoffnung, daß sie ihm diese nicht entziehen würde. Sie tat es nicht, sondern drückte seine Hand beruhigend. Sie schien hellwach zu sein, unbeeinflußt von den Halluzinogenen, und die Berührung half Mantle, wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Oder war diese Klarheit an sich eine gefährliche Illusion?
    „Er wartet auf Sie“, sagte Roberta sanft, als spräche sie direkt mit Pretre und nicht mit Mantle. Sie öffnete die Reißverschlüsse ihrer Kleider und entstieg ihnen. Angezogen sah sie untersetzt aus, aber nackt war sie stramm und straff, ja irgendwie größer; nur ihre übermäßig üppigen Brüste störten die Illusion sanfter Kurven. „Beeilen Sie sich“, sagte sie, zu Mantle gewandt.
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