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Das Zeichen der Schwalbe (German Edition)

Das Zeichen der Schwalbe (German Edition)

Titel: Das Zeichen der Schwalbe (German Edition)
Autoren: Helen Bryan
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sich allmählich, ob das amerikanische Ehepaar es sich anders überlegt hatte und doch nicht kommen und Isabelita abholen würde. Sie seufzte und blickte auf, um ihren heiteren Gefährtinnen noch einmal die Gründe darzulegen, die für die Adoption sprachen. Sie erinnerte sie daran, dass ein weiterer Bürgerkrieg drohte: Im Kloster berichtete man sich von Gräueltaten und von Paramilitärs, die im Ausland ausgebildet worden waren und jede Menge Waffen zur Verfügung hatten. Und sie erinnerte sie an die Vision, die Sor Rosario letztes Jahr hatte, kurz vor dem Wirbelsturm.
     
    Sor Rosario, die jüngste Nonne und zudem ein recht flatterhaftes Wesen, war eines Abends durch die Gänge des Klosters geeilt, weil sie sich wie üblich zur Komplet verspätet hatte, als ihr eine »Vision« den Weg versperrte. Die Oberin war skeptisch und befragte sie eingehend. Eigentlich rechnete sie fest damit, dass die Vision große Ähnlichkeit mit einer Statue der Madonna aus der Renaissancezeit aufweisen würde, der Sor Rosario besonders zugetan war. Die Statue stand in einer kleinen Kapelle in der Klosterkirche. Die Witwe eines Konquistadors hatte sie eigens als letzte Ruhestätte für ihren Mann bauen lassen. Durch ein Fenster oberhalb der Statue strömte das Licht, als strahlte es direkt aus himmlischen Sphären. Die Madonna war schlank und blond, auf ihrem blauen Gewand prangten goldene Sterne. Sie trug einen roten Umhang mit Hermelinbesatz, eine fein gearbeitete Krone und unter ihrem Kleid lugten goldene Schuhspitzen hervor.
    Sor Rosario berichtete: »Sie war groß, mit langen dunklen Haaren, die ihr über den Rücken fielen. Mit ihren dunklen Augen hat sie mich direkt angeschaut. Schwarze Augen. Dichte Augenbrauen, die sich über der Nase trafen. Der Abendwind frischte gerade auf und ihr Kleid und ihr Umhang blähten sich hinter ihr – sie sah aus, als hätte sie Flügel! Sie sagte etwas von einer Warnung, einem Versprechen und von etwas, an das wir uns erinnern sollten. Ihre Stimme war nicht weich und mild – sie sprach mit lauter Stimme, wie es Frauen tun, wenn sie wollen, dass die Männer ihnen zuhören, egal ob es die Männer interessiert oder nicht.«
    »Na sowas!« Das klang nicht wie die Madonnenvisionen, von denen die Oberin bisher gehört hatte.
    Sor Rosario nickte. »Natürlich bin ich niedergekniet und wollte gerade ein Ave sprechen, doch da stampfte sie mit dem Fuß auf und hob die Hand: Ich sollte schweigen. Sie meinte, für all das wäre keine Zeit und ich sollte ihr aufmerksam zuhören. Ein schrecklicher Sturm würde kommen. Der Himmel würde aufgerissen und der Engel des Todes würde seine Flügel über uns breiten. Doch ein Segen oder eine Gabe würde vom Meer kommen, etwas würde gefunden … wir müssten etwas retten … aber ihre Stimme wurde leiser und ich konnte nicht jedes Wort verstehen. Und da stampfte sie wieder mit dem Fuß auf und sah mich zornig an, aber ich glaube, das war, weil sie noch nicht alles gesagt hatte, was sie sagen wollte und –«
    »Sie stampfte mit dem Fuß auf, Sor Rosario? Vielleicht haben Sie das alles nur geträumt.« Die Oberin seufzte, schloss die Augen und massierte sich die Stirn, um einen Anflug von Kopfschmerz zu vertreiben. Manche Nonnen, besonders die schwärmerischen Naturen, behaupteten häufig, sie hätten Visionen, vor allem, wenn es nicht genug zu essen gab. Bei diesen Visionen ging es meist um Santa Teresa und Rosen.
    »Oh, nein! Sie war ganz echt, Mutter Oberin. Ihr Umhang war braun.« Sor Rosario war die Enttäuschung anzumerken. Früher hatte sie eine Vorliebe für schöne Kleider gehabt. »Einfach nur braun. Blau, hätte ich gedacht, oder vielleicht ein hübsches Rosa, aber nein … es war so ein gräuliches Braun. Ein grober Stoff, am Saum waren weißliche Flecken, so als hätte sie ihn durch irgendetwas geschleift, das dann getrocknet ist. Sie verschwand allmählich, dabei redete sie aber weiter, sie schrie fast, doch es war kaum noch zu hören – etwas von Männern und Narren … die Sors Santas de Jesús müssen etwas beschützen … die Chronik. Das war es – die Chronik beschützen! Weil darin eine Erklärung steht, die mit der Gabe zu tun hat, mit der Gabe aus dem Meer.«
    »Die Chronik? Die haben wir seit einem halben Jahrhundert nicht mehr zu Gesicht bekommen – wie sollen wir sie ›beschützen‹?« Die Oberin schnaubte ärgerlich. Die Chronik des Ordens war ein uraltes Buch, das angeblich aus ihrem Mutterhaus in Spanien stammte, wo immer das auch
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