Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Zeichen der Schwalbe (German Edition)

Das Zeichen der Schwalbe (German Edition)

Titel: Das Zeichen der Schwalbe (German Edition)
Autoren: Helen Bryan
Vom Netzwerk:
seinen Passagieren mit Gesten klar, dass die Fahrt zu Ende war. Vom Rücksitz stieg ein amerikanisches Ehepaar mittleren Alters aus, beschattete die Augen mit der Hand und sah sich um. »Sie haben gesagt, dass es im alten Teil der Stadt ist«, sagte die Frau und sah auf ihren Stadtplan, »und alt sieht dieses Viertel nun wirklich aus. Es fällt ja beinahe in sich zusammen.« Die rundliche Dame trug einen schlichten Faltenrock, dazu eine passende Strickjacke und Pumps mit niedrigen Absätzen. Nervös tätschelte sie ihr sorgfältig frisiertes Haar.
    Ihr Begleiter, ein stämmiger Mann in einem Hemd mit Button-Down-Kragen, Fliege und kariertem Jacket, rückte schwitzend die Kamera zurecht, die er um den Hals trug – ein preiswertes Modell. Man hatte ihn gewarnt, dass er seine teure Fotoausrüstung besser zu Hause ließ. Er hielt einen Reiseführer umklammert und unter einem Arm trug er seltsamerweise einen großen Teddybären mit einer rosa Schleife. Schützend nahm er seine Frau beim Ellbogen. »Komm, Sarah-Lynn. Halte deine Handtasche fest«, brummte er mit einem Blick auf den Taxifahrer, der in seinem Sitz lümmelte und sich eine Zigarette drehte. In dieser Gegend sorgten die Norte Americanos unweigerlich für Aufsehen. Männer in Unterhemden und Frauen in billigen Baumwollkleidern beäugten sie von baufälligen Holzverschlägen aus oder lehnten auf Balkonen, die von den bröckelnden Fassaden der Häuser herabzustürzen drohten, und betrachteten sie mit unverhohlener Neugier. Zerlumpte Kinder mit aufgedunsenen Bäuchen drängten sich an die Eisentore, die die Toreinfahrten versperrten, und lugten durch die Gitterstangen. Das Paar bahnte sich einen Weg an alten Wagen, an Eseln und Bettlern und scheppernden Autos mit quietschenden Bremsen vorbei, deren Fahrer ausspuckten und sich gegenseitig Beleidigungen an den Kopf warfen und dabei mit der Hand an die Autotür schlugen, um ihrem Standpunkt Nachdruck zu verleihen. Die beiden gingen an provisorischen Verkaufsständen vorbei, an denen gebratener Fisch und arepas angeboten wurden. Eine Prostituierte saß in einer Tür auf einem zerbrochenen Stuhl und rief ihnen auf Spanisch etwas Spöttisches zu, was ihre Gefährten mit lautem Gelächter quittierten. Frauen riefen, Babys weinten, Kinder wurden ausgeschimpft oder bekamen Ohrfeigen. Die Straßen stanken nach Bratfett, Urin, Tabak, Schweiß, Abgasen, faulendem Müll, Tierkot und Angst. In der Ferne erhoben sich die schneebedeckten Anden rein und unerreichbar vor dem harten blauen Himmel.
    Die Amerikaner drehten ihre Straßenkarte hin und her, sahen sich um und ignorierten die Leute um sie herum. »Da! Den erkenne ich von den Plakaten wieder!«, rief Sarah-Lynn plötzlich und zeigte auf einen weiß getünchten Glockenturm, der in den 1970ern auf einem berühmten Reiseplakat abgebildet war, als es noch Zugverbindungen in diesen abgelegenen Teil Südamerikas gab. Damals hatten die Andenkenhändler gute Geschäfte mit ihren Schwalben aus Ton, billigen Silberarmreifen und Kalebassen gemacht, die mit traditionellen Mustern bemalt waren.
    Touristen gab es hier schon lange nicht mehr, doch ein paar alte Männer harrten immer noch hoffnungsvoll an den Klostermauern aus. Ihre schäbigen Waren hatten sie auf schmutzigen Decken ausgebreitet. »Hallo! Hübsche Andenken?«, bettelten sie.
    »Das ist ganz sicher der Glockenturm, Virgil. Ich denke, wir haben es geschafft … Oh, was für ein Gestank!« Sie rümpfte die Nase, als ihr ein Windhauch von den offenen Abwasserkanälen entgegenwehte.
    Ihr Mann schlug in aller Seelenruhe seinen Reiseführer auf. »Ältestes Kloster in Lateinamerika, El Convento de las Golondrinas . Dort wohnen Las Sors Santas de Jes ú s de Los Andes «, las er vor und probierte dabei seine kürzlich erworbenen Spanischkenntnisse aus. Er spürte, dass Gewalt in der Luft lag, die nur darauf wartete loszubrechen. Sein Instinkt sagte ihm, dass er um jeden Preis vermeiden musste, Angst zu zeigen oder Eile an den Tag zu legen, sonst würden die Leute wie Geier über sie beide herfallen. Daher gab er sich selbstbewusst und lässig und tat so, als interessierte er sich wie ein ganz normaler Tourist für die Sehenswürdigkeiten. »Jede Menge Vögel hier, hör dir nur diesen Lärm an! Kein Wunder, dass sie es das Kloster der Schwalben nennen. Las Golon … Golondrinas! «
    Er spürte, wie sich die Blicke seiner Zuschauer in seinen Rücken bohrten, doch er stand unbeirrt da und blätterte in seinem Reiseführer, als ginge
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher