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Das Wolkenzimmer

Das Wolkenzimmer

Titel: Das Wolkenzimmer
Autoren: Irma Krauss
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endet, sie hat die Tür probiert, aber die war abgeschlossen; verständlich, bei einer Tür in die Luft hinaus, in dieser Höhe. Es könnte ja jemand kommen und sich den Weg nach ganz oben sparen wollen.
    Die Nische, die Tür, das alles ist so alt wie der Turm und  stammt aus einer Zeit, als die Menschen angeblich kleiner waren. Veronika hat sich tief in die Ecke geduckt und die Luft angehalten, als der Türmer vorüberging.
    Dann wusste sie nicht, was sie machen sollte. Sie ist hinuntergeschlichen zum Ausgang, der natürlich versperrt war. Sie hat überlegt, ob sie gegen die Tür trommeln soll. Aber von außen hätte ihr niemand helfen können. Sie hat begriffen, dass die enge Steintreppe ein eigener Turm ist, ein Treppenturm, der einen in den dicken Hauptturm bringt. Und dass man von dort weiter hinaufsteigt, dass aber kein gangbarer Weg hinunterführt in das hohle Innere des Turms. Der Spindelturm muss, von außen gesehen, wie ein dünner kleiner Bruder am Hauptturm kleben. Veronika hat sich gefragt, warum die Menschen damals derart gigantische Türme bauen mussten. Was hatten sie davon?
    Mit dem letzten Tageslicht ist sie hinaufgeschlichen. Ist aufs Klo gegangen, hat aber nicht gespült. Hat die Hose gegen ihre zweite getauscht und hat nicht gewusst, wo sie die nasse Hose hintun soll. Es kann ihr ja egal sein, was man findet, wenn sie nicht mehr da ist, aber trotzdem hat sie die Hose zum Trocknen über einen Balken gehängt, den Slip auch, und nun sind beide Teile in ihrer Yogatasche, auf der sie sitzt und die statt der vorgesehenen Matte ihre Kleidung und Wäsche für einen Urlaubstrip enthält. Die auch ihr Handy enthielt - aber das ist weg, und sie hat keine Ahnung, wo sie es verloren haben könnte.
    Der Türmer ist in der ersten Hälfte der Nacht immer wieder nach oben gestiegen und hat etwas vom Rundbalkon gerufen, und Veronika hat schon gedacht, das hört die ganze Nacht nicht auf. Anscheinend muss er das tun, denn freiwillig würde es doch keinem einfallen, die halbe Nacht von einem Turm zu schreien, anstatt zu schlafen. Er hat ihr schon fast leidgetan - und das bei ihrer Wut.
    Sie hat lange am Turmschacht gestanden, an einer guten  Stelle. Sie hat sich an der Geländerstange festgehalten und das Grauen angekostet. Aber es war nicht der richtige Ort, sie konnte es sich nur draußen vorstellen und bei Sonnenaufgang.
    Als der Türmer endlich Ruhe gab, hat sie noch lange gewartet und sich dann zu seiner Etage hinaufgetastet. Mondlicht fiel zu den Fenstern herein. Sie ist äußerst vorsichtig über die Glöckchentür geklettert, hat es geschafft, ohne dass das Glöckchen anschlug. Auch die knarrende Stiege zum Balkon hat sie praktisch geräuschlos hinter sich gebracht.
    Oben hat sie sich aber gewünscht, dass der Türmer sie hören soll. Dass er heraufkommt, sie packt und in den Turm zerrt und sie hinunterbefördert. Denn sie war da draußen in der schwindelnden Höhe plötzlich so allein, wie kein Mensch allein sein darf.
    Das Universum ist ein kalter Partner. Veronika hat nicht einen Stern gesehen, der ihr zugezwinkert hätte, keiner ist ein paar Lichtjahre näher herangekommen und hat sich für sie interessiert. Keiner hätte auch nur mit der Wimper gezuckt, wenn sie nicht mehr bis Sonnenaufgang hätte warten wollen. Sie hat zitternd in der Türöffnung gesessen, in dieser lauen Sommernacht, und die dicken Steinmauern, die sie in ihre Mitte genommen haben, sind wärmer gewesen als das Universum.
    Aber warm waren sie gar nicht. Veronika hat gefroren und war schwach vor Angst und Hunger und Müdigkeit. Viel zu schwach, um zu tun, was sie sich vorgenommen hat. Auch viel zu schwach zum Denken. Sie ist hinuntergetapst, eine Etage, bis zum Vorraum vor der Türmerstube. Sie hat neben der Tür eine Männerjacke oder einen Mantel an einem Haken ertastet. Den trägt sie jetzt, während sie auf ihrem Gepäck sitzt und darüber nachzudenken versucht, ob sie den Yogasack bei Sonnenaufgang mitnehmen soll. Oder ob er hier liegen bleibt. Oder ob sie ihn in den Schacht wirft, in  den keine Treppe hinabführt. Es ist nicht ganz gleichgültig, denn den Sack hat ihr Mattis geschenkt, als sie einmal Hand in Hand durch eine Ladenpassage liefen und sie vor der Auslage eines Sportgeschäfts zum Spaß rief: Den Yogasack da, den will ich! Ohne zu zögern, ist Mattis hineingegangen und hat ihn gekauft. Und ohne zu fragen: Seit wann machst du Yoga? Denn Tatsache ist, dass Veronika sich überhaupt nicht für Yoga interessiert. Sie
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