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Das Wolkenzimmer

Das Wolkenzimmer

Titel: Das Wolkenzimmer
Autoren: Irma Krauss
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stattdessen sie ansieht, gibt es ein zweites Paar Augen, das offen ist bis ganz tief hinein.
     »Ich könnte noch bleiben...«, sagt Veronika, als sie die Hälfte eines schweigsamen Frühstücks hinter sich gebracht haben.
    Der Amerikaner sieht sie an und schüttelt stumm den Kopf.
    »Nicht?«, sagt sie und fühlt sich ein wenig verletzt.
    »Es ist an der Zeit, dass du dein Leben wieder aufnimmst.«
    »Das hört sich an, als hätte ich es unterbrochen!«
    »Du hast angehalten wie ein Güterzug und dir eine große Last aufbürden lassen.«
    »Nein.« Veronika lächelt nun. »Nein, das ist nicht möglich.«
    »So?«
    »Weil ich mich nicht beschwert fühle.«
    »Dann ist es ja gut«, sagt er.
    Seine Augen sind wieder wachsam. Das Fenster, das für kurze Zeit geöffnet war, ist zugegangen. Aber sie hat hineingesehen, und das ist mehr, als sonst jemand von sich behaupten kann. Was sie gesehen hat, wird sie mitnehmen; sie wird wahrscheinlich vieles daran messen. Jede Nähe, die leicht gewonnen wird, muss vor dieser bestehen.
    Während sie den Amerikaner beobachtet, findet sie plötzlich Gefallen an einer neuen Idee. »Sie haben mir aber doch etwas aufgedrückt«, sagt sie leichthin.
    Er geht auf ihren Ton ein. »Was denn?«
    Sie trinkt ihre Tasse leer und dreht sie um. »Das hier. - Nein«, sagt sie enttäuscht, »es ist Billigporzellan … Es hat keinen Stempel …«
    »Ich hoffe doch nicht...«, sagt er mit gerunzelter Stirn.
    »Ich mag keine Prägungen und keine Stempel.«
    »Aber ich nehme es doch mit«, sagt Veronika leise. »Ich fühle mich... ein bisschen kostbar jetzt, Sie haben mich … ausgezeichnet«, schließt sie hilflos.
    Endlich lächelt er, aber es gerät ihm eher zur Grimasse. »Als du unten warst«, sagt er sachlich, »habe ich die Bahnauskunft angerufen. In zwei Stunden hast du einen günstigen Zug.«
    Veronika schaut ihn erschrocken an - hat er es so eilig, sie loszuwerden? »Ich wollte per Anhalter...«
    »Im Zug kannst du besser schlafen. Du musst todmüde sein.«
    »Und Sie?«
    »Ich was?«, fragt er.
    »Sie müssen auch todmüde sein, ich habe Sie wachgehalten.«
    »Ich werde den Tag schon überstehen. Notfalls schlafe ich ein wenig am Schreibtisch.« Der Schatten, der über sein Gesicht läuft, spricht eine andere Sprache.
    Veronika schiebt sich von der Bank und bleibt lahm am Tischende stehen. »Dann muss ich jetzt packen...« Sie weiß plötzlich, was los ist: Dass er sie so leicht gehen lässt, falsch, dass er sie praktisch hinauswirft, nicht viel anders als beim ersten Mal, das ist los.
    »Ja, mach das.« Der Amerikaner legt die Serviette achtlos neben seinen Teller. Dann geht er zum Fenster, an dem das Außenthermometer hängt, und liest die Temperatur ab. Er notiert sie und beobachtet den Himmel - er startet tatsächlich die tägliche Routine, die mit der Wettermeldung beginnt.
    Veronika beißt sich auf die Lippe. Sie geht zu ihrer Ecke, in der der Yogasack steht, umgeben von ihren verstreuten Klamotten. Viel ist es nicht, was sie besitzt, es ist schnell hineingestopft. Dann sieht sie sich um. Ein Handtuch hängt noch am Ofen, aber das gehört ihr nicht, sie hat es nur benützt. Ihr Notizblock muss irgendwo liegen …
    Da fällt ihr mit einem Schlag Mattis ein: Wie er mit der Reisetasche ins Auto steigt - er wird sich zum Flughafen fahren lassen oder ist schon unterwegs, er hat die Brille frisch geputzt, er wird über die Tränen seiner Mutter gerührt sein, aber ich komm ja wieder, wird er murmeln. Und während Veronika noch immer auf den stechenden Schmerz wartet, der jetzt, beim Gedanken an Mattis, da sein müsste, spürt sie - den Schmerz, aber er rührt nicht von Mattis her.
    »Verflucht, verdammt...«, faucht sie mit verzerrtem Gesicht. Ihr Hals ist eng, die ganze Brust tut weh, und jetzt kommen auch noch die Tränen. Sie zieht die Nase hoch und sucht nach einem Taschentuch, während sie den Amerikaner mit der Wetterstation telefonieren hört. Mit abgewandten Augen geht sie hinaus und spürt seinen Blick im Rücken - einen gleichgültigen, ungeduldigen Blick vermutlich. Gut also, sie wird ihm keine Sekunde länger als nötig zur Last fallen.
    Als sie von der Toilette zurückkommt, hat er bereits den Tisch abgeräumt.
    Keine Spur von ihr wird zurückbleiben.
    »Ich könnte jetzt gehen«, sagt sie mit Lippen, die nicht ganz verlässlich sind und deshalb streng geführt werden müssen. »Ich fahre doch lieber per Anhalter.« Sie holt den Yogasack aus der Ecke. »Alles drin«, sagt sie und
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