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Das Wolkenvolk 01 - Seide und Schwert

Titel: Das Wolkenvolk 01 - Seide und Schwert
Autoren: Kai Meyer
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Kostbarkeit und voller Ehrfurcht damit auf hölzerne Ziele geschossen, denn zur Vogeljagd taugte das Ungetüm nicht.
    Falls es Niccolo gelänge, das Flügelkreuz zum Schlingern zu bringen, es auf eine andere Bahn zu lenken … Verdammt, er war bereit, sich mit ausgebreiteten Armen vor den Stall zu werfen. Die Tiere waren die einzige Familie, die ihm geblieben war, und er würde nicht davonlaufen, um seine eigene Haut zu retten, während sie unter Trümmern zermalmt wurden.
    Die Zeit verdichtete sich zu flüssigem Glas, während das Rad auf ihn zu klapperte, von der Neigung der Wol keninsel ang e trieben, ein vierbeiniges Monster aus zentnerschweren Holzbalken, gebaut um selbst den Stürmen der Hohen Lüfte zu trotzen. Im Hintergrund wehten lose Wolkenfetzen himme l wärts, fortgerissen vom Gegenwind aus der Tiefe. Wie schnell die Insel fiel, war nicht zu erkennen. Niccolo war zu weit vom Rand entfernt, als dass er von hier aus den Erdboden hätte näher kommen sehen.
    Er spannte den Bogen zum elften oder zwölften Mal und ahnte zugleich, dass es zu spät war. Eine neuerliche Erschütterung ließ die Wolken erbeben. Er verlor das Gleichgewicht, der Pfeil zischte ungezielt ins Nichts.
    » Nein! «, stieß er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
    Nicht der Stall!
    Weitere Beben, weitere Stöße wie Hiebe einer unsichtbaren Riesenfaust. Die weiße Wolkenmasse fing ihn auf, als er zurückfiel, den Bogen verlor und die kleine Anhöhe hinabkuge l te. Die restlichen Pfeile wurden über den Hang verstreut.
    Mit einem Stöhnen kam er auf, schwindelig und mit Schme r zen im ganzen Leib. Sein Gleichgewichtssinn schlug Purzelbäume, der Herzschlag stampfte wild in seinen Ohren.
    Er hob den Kopf, blickte durch Schleier nach vorn.
    Das Flügelkreuz donnerte auf ihn zu. An ihm vorbei.
    Genau auf das Haus und die Stallungen zu.
     
    GESTRANDET
     
    S ein Schrei und das Kreischen des berstenden Holzes waren eins. Die Luft um ihn herum vibrierte. Gegenwind peitschte über die Wolkenränder und riss heulend die letzten lockeren Reste davon.
    Eine Erschütterung wie keine zuvor stieß die abgesunkene Seite der Insel abrupt nach oben. Die Neigung schlug ins Gegenteil um, der Boden hob sich unter Niccolo, unter Haus und Stall, unter den schreienden Tieren und dem tödlichen Flügelrad.
    Kurz bevor das hölzerne Ungeheuer die Stallungen zermalmen konnte, wurde es vom aufsteigenden Boden zurückgestoßen, kam ins Schlingern, holperte rückwärts – und stürzte wie ein sterbender Riese auf die Seite. In einer Wolke aus weißen Fetzen und verwehtem Erdreich prallte es auf, seine Kreuzstr e ben brachen, die Bespannung fetzte in Stücke.
    Das Ende eines Flügels lag keine Mannslänge von Niccolo entfernt.
    Er stemmte sich hoch, während sein Blick zum Stall raste. Das Gebäude war unversehrt. Der Torflügel stand weit offen, ein Scharnier war gebrochen. Innen rumorten die Schweine. Die Kühe muhten verstört.
    Es war noch nicht vorbei. Er hatte den Gedanken kaum g e fasst, da schlug auch die andere Seite der Insel irgendwo auf. Das Beben rollte von den gegenüberliegenden Wolkenbergen durchs Tal heran, Wellen schüttelten den Untergrund und erreichten Niccolos Hof mit leichter Verzögerung. Abermals schien es ihm, als hätte irgendwer ihn gepackt, mit ihm ausg e holt wie mit einer ungeliebten Puppe und ihn zurück auf den Boden gedroschen.
    Alles drehte sich um ihn. Taumelnd kämpfte er sich hoch und stolperte zum Tor des Stalls hinüber. Im Inneren war es dämm e rig, deshalb erkannte er zu spät, dass eines der Gatter aufge sprungen war: Eine Horde Schweine drängte ihm entgegen und hätte ihn beinahe niedergetrampelt. Gerade noch rechtzeitig konnte er ausweichen, als sie an ihm vorbeipreschten, schneller als man es ihren plumpen Leibern zugetraut hätte, panisch, vielleicht sogar wütend, aber immerhin lebendig und gesund. Er würde sie später wieder einfangen, falls ihm noch Gelegenheit dazu blieb.
    Der zweite Schweinepferch war noch verschlossen, aber auch hier versuchten die Tiere mit aller Kraft, das Gatter aufzuspre n gen. Sie stießen aufgebracht dagegen und quiekten mit ihren hohen Schweinestimmen. Keines hatte sichtbare Verletzungen davongetragen.
    Die beiden Kühe lehnten an der Rückwand und starrten ihn aus großen Augen an. Sie waren zu verängstigt, um etwas anderes zu tun, als dazustehen und abzuwarten. Niccolo litt mit ihnen und hätte sie am liebsten umarmt, weil keine von ihnen gebrochene Beine hatte oder sonst wie
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