Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Wolkenvolk 01 - Seide und Schwert

Titel: Das Wolkenvolk 01 - Seide und Schwert
Autoren: Kai Meyer
Vom Netzwerk:
Niccolo. Mein Vater ist tot. Er ist in die Tiefe gestürzt, weil ihr ihn dazu gezwungen habt, so nah am Rand zu leben.
    Er wusste selbst, dass das nur die halbe Wahrheit war. Cesare hatte gern hier draußen gewohnt. Sie beide ware n z ufrieden gewesen mit ihrem Dasein. So zufrieden man eben sein konnte, wenn man eigentlich der Meinung war, dass man hier oben auf den Wolken wie in einem Gefängnis hauste.
    Und dennoch … Was bildeten die vier sich ein, hier aufzuta u chen und fortwährend über seinen Vater zu reden, als wäre er nicht nach einem Sturz aus zweitausend Metern Höhe am Boden zerschmettert?
    Um seine Wut nicht laut hinauszubrüllen, versuchte er es seinerseits mit einer Frage. » Was genau ist eigentlich passiert? «
    Wieder wurden Blicke gewechselt, so als wäre es ein Gehei m nis, dass die Wolkeninsel zwischen den Berggipfeln feststeckte.
    » Die Pumpen saugen keinen Aether mehr in die Wolken «, sagte der Herzog nach einem Moment. » Wir wissen nicht, warum das so ist. Aus irgendeinem Grund haben wir an Höhe verloren. Erst ganz langsam, bis der Kontakt zum Aether abgerissen ist, dann aber … nun, du hast es selbst erlebt. Im Ort herrscht Panik. Viele Häuser wurden zerstört und noch mehr schwer beschädigt. Die Menschen sind verrückt vor Angst. Und zu allem Überfluss hängen wir zwischen diesen verdammten Bergen fest. «
    Alessia wandte sich zu ihnen um. » Wie es aussieht, haben die Berge uns allen das Leben gerettet. «
    » Ja «, entgegnete ihr Vater zerknirscht, » ja, das haben sie wohl. «
    » Sie sind Boden! « , empörte sich der Zeitwindpriester. » Sie sind Stein ! Boden und Stein sind die Sklaven des A b grunds! «
    Alessia verdrehte die Augen, was sie Niccolo für einen winz i gen Moment beinahe sympathisch machte. Offensichtlich hielt sie ebenso wenig von den Priestern wie er selbst. Doch als hätte sie gespürt, dass da etwas in ihm ins Schwanken geriet, fixierte sie ihn mit ihren Goldaugen und schnauzte: » Wenn dein Vater tot ist, weshalb brauchst du dann all diese Bücher? «
    Hinterm Rücken ballte er die Hand zur Faust, bis es wehtat. » Würdet Ihr sie gerne lesen? «, fragte er gedehnt.
    » Meine Tochter kann nicht lesen «, ging der Herzog eilig dazwischen. » Sie braucht keine Bücher. «
    Alessia sah aus, als ob sie etwas entgegnen wollte. Dann aber schüttelte sie nur den Kopf und verließ hocherhobenen Hauptes das Haus. Niccolo atmete innerlich auf.
    » Da ist noch etwas «, sagte der Herzog. » Noch sind die Wo l ken mit Aether gesättigt, der sie zusammenhält. Aber dieser Zustand wird nicht ewig anhalten. Wenn es uns nicht gelingt, in die Hohen Lüfte zurückzukehren, und wenn die Pumpen keinen neuen Aether fördern, dann heißt das nicht nur, dass wir hier unten festsitzen. Es bedeutet vielmehr, dass sich die Insel auflösen wird! Wir haben weder die Zeit noch die Mittel, alle Bewohner bis dahin zum Erdboden zu bringen. « Der Priester wollte aufbegehren, aber der Herzog schüttelte den Kopf.
    » Nicht jetzt! «, sagte er hitzig. » Wir könnten sie nicht in S i cherheit bringen, selbst wenn wir es wollten. Wir können nur abwarten – und zusehen, wie sich die Wolken unter unseren Füßen in Luft auflösen. Es sei denn, wir finden hier und jetzt eine Lösung. «
    » Weißt du, wo wir uns befinden? «, fragte der Schattendeuter in Niccolos Richtung. » In welchem Land? «
    » Nein. «
    » Ich habe Berechnungen angestellt «, erklärte der Schattende u ter. » Das Reich, zu dem dieses Gebirge gehört, trägt den Namen China. Es ist ein großes Land – «
    » Voller Sünde «, fiel ihm der Priester ins Wort.
    » Ein großes Land voller Sünde «, bestätigte der Herzog befli s sen. » Wir besitzen keine Aethervorräte, mit deren Hilfe wir wieder aufsteigen könnten. Wenn es uns aber gelänge, die Fühler wieder in Kontakt mit dem Aether über dem Himmel zu bringen, nun, dann wäre alles wieder gut. Alles könnte wieder sein wie früher. «
    Davor bewahre uns der Große Leonardo, dachte Niccolo.
    » Wir müssen uns anderweitig Aether beschaffen «, sagte der Herzog. » Wenigstens so viel, dass wir ihn von Hand den Pumpen zuführen und sie so wieder zum Laufen bringen können. Die Inspektoren sagen, das sei möglich. «
    Niccolo verstand weder, was das mit seinem Vater noch mit den Sprachen des Erdbodens zu tun hatte. Gewiss, China war ihm ein vertrauter Begriff. Sein Vater hatte ihm oft von der Geschichte und den Menschen dieses Reiches erzählt – auf Chinesisch.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher