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Das Wolkenvolk 01 - Seide und Schwert

Titel: Das Wolkenvolk 01 - Seide und Schwert
Autoren: Kai Meyer
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heutigen Tag immer nur aus der Ferne gesehen hatte. Und selbst das nur wenige Male.
    Herzog Jacopo de Medici schaute sich missbilligend im Wohnraum des Hauses um, entdeckte Bücher über Bücher, eines so verboten wie das andere. » Aber ich sehe nur wertloses Papier. Und dich. «
    » Mein Vater ist tot «, sagte Niccolo.
    Der Herzog wechselte einen Blick mit dem Schattendeuter Oddantonio Carpi. Der sah hinüber zu Federico da Montefeltro, dem obersten Zeitwindpriester. Beide Männer wirkten ratlos.
    » Vielleicht lügt er «, brach Alessia das Schweigen der Männer. Die Herzogstochter sah Niccolo von oben herab an, obgleich sie einen halben Kopf kleiner war als er. » Vielleicht versteckt sich Cesare vor uns. Immerhin ist er ein Ausgestoßener. «
    Niccolo presste die Lippen aufeinander und tat, als hätte er ihre Worte nicht gehört. Es fiel ihm nicht leicht. Alessia war mit ihrem dunkelroten Haar so hübsch wie hochmütig. Ihre Augen glänzten golden wie die aller Wolkenbewohner – das machte die Nähe des Aethers –, doch die ihren wirkten noch eine Spur heller und leuchtender als die aller anderen. Sie hatte fein geschnittene Züge und einen schönen Mund, der Gift und Galle spuckte. Im Widerspruch zu ihrem herrschaftlichen Gebaren standen die wilden Sommersprossen, die ihr ganzes Gesicht und ihren Hals bedeckten.
    » Alessia «, ermahnte ihr Vater sie in einem Tonfall, der zu müde klang, um sie einzuschüchtern. Mit einer Bewegung, als täten ihm alle Glieder weh, wandte er sich wieder an Niccolo. » Wann ist er gestorben? «
    » Vor über einem Jahr. Der Wind hat ihn mitgenommen. «
    » Warum weiß ich nichts davon? «
    Weil es dich nichts angeht, dachte Niccolo. » Wir sind Ausg e stoßene «, sagte er mit einem finsteren Blick auf Alessia.
    Sie waren zu viert gekommen, kaum eine Stunde, nachdem Niccolo das letzte Schwein zurück in den Pferch gesperrt hatte. Noch immer klang das Quieken der Tiere aufgeregter als sonst, selbst durch die Holzwand zwischen Wohnraum und Stall.
    Herzog Jacopo. Sein Schattendeuter. Der schwammige Zei t windpriester. Und natürlich Alessia, die sich jetzt verächtlich von den Männern abwandte und einen unauffälligen Blick auf die Bücher warf, die noch immer auf dem Boden verteilt lagen. Sie kehrte Niccolo den Rücken zu, daher konnte er ihren Gesichtsausdruck nicht sehen, während sie sich umschaute. Erstaunt fragte er sich, ob sie wohl lesen konnte. Eigentlich war das undenkbar, da doch ihr Vater das Lesen verboten hatte. Und trotzdem schien sie ihm ein wenig zu lange auf einzelne Bücher zu starren. Auch der Zeitwindpriester bemerkte es und hob missbilligend eine Augenbraue.
    » Niccolo. «
    Die Stimme des Herzogs ließ ihn zusammenzucken. Das Oberhaupt des Wolkenvolkes trug keines seiner prunkvollen Amtsgewänder, sondern einen schlichten Mantel über Hosen aus Leinen und eine kurze dunkle Samtjacke. Er war nicht älter als fünfzig, doch er ging leicht gebeugt, so als laste mehr als die Herzogwürde auf seinen Schultern. Manche munkelten, er litte unter der Tatsache, dass seine Frau ihm keinen Sohn geboren hatte. Irgendwann würde Alessia, sein einziges Kind, das Amt des höchste n W olkenbewohners übernehmen. Vermutlich war das der Grund, weshalb er sie seit geraumer Zeit an Ratsitzu n gen und Unterredungen wie dieser teilnehmen ließ, auch wenn er damit den Unmut der Priester heraufbeschwor. Die Vorste l lung, es erstmals in der Geschichte des Wolkenvolks mit einer Herzogin zu tun zu bekommen, belastete das Verhältnis zw i schen den Zeitwindpriestern und der mächtigen Medicifamilie.
    » Niccolo, wir sind hergekommen, um mit deinem Vater zu sprechen. « Der Herzog schaute sich einmal mehr im Raum um und schien zu erwägen, Alessia von den Büchern fortzuzerren. Dann aber ließ er sie mit einem lautlosen Seufzen gewähren. » Nun sagst du uns, Cesare lebt nicht mehr. Was gewisse … Schwierigkeiten mit sich bringt. «
    » Ich muss seitdem allein zurechtkommen «, sagte Niccolo. » Welche anderen Schwierigkeiten könnte irgendwer dadurch haben? «
    » Schau, mein Junge «, mischte sich der Priester ein. Seine Ringe klirrten aneinander, als er beim Sprechen mit den Händen gestikulierte. » Dein Vater spricht doch die Sprachen des Erdbodens, nicht wahr? «
    » Er hat sie gesprochen. Jedenfalls ein paar. «
    » Wir hatten gehofft, er könnte … nun, er könnte uns allen einen großen Dienst erweisen. «
    Habt ihr es denn noch immer nicht verstanden?, schrie es in
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