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Das Wolkenvolk 01 - Seide und Schwert

Titel: Das Wolkenvolk 01 - Seide und Schwert
Autoren: Kai Meyer
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Gitter stecken. Und wer würde dann sein e S chweine und Kühe füttern? Er bezweifelte, dass die Männer ihm erlauben würden, dem alten Emilio Bescheid zu geben, der hin und wieder bei Niccolo vorbeikam, um nach dem Rechten zu sehen.
    Sie durften ihn nicht bemerken.
    Flink huschte er von einem Wolkenhügel zum nächsten. Seit jeher war es verboten, hier herauf zu kommen, und Niccolo hatte sich schon als kleiner Junge über diese Regel hinwegg e setzt. Selten genug, dass er auf dem Gipfel jemandem begegn e te. Wenn überhaupt, dann höchstens Sandro Mirandola oder einem seiner nichtsnutzigen Pumpeninspekteure. Nicht s nutzig, weil nicht einmal sie die Technik der Türme verstanden.
    Immerhin aber musste einem von ihnen etwas Ungewöhnl i ches aufgefallen sein, sonst hätte sich nicht der gesamte Rat hier oben versammelt. Irgendetwas stimmte nicht.
    Ehe Niccolo nahe genug heranschleichen konnte, gab der Herzog den anderen einen Wink und ging mit seiner Tochter zurück zum Spalier seiner Soldaten. Palavernd folgten ihnen die Ratsherren, gestikulierend und diskutierend, bis sie allesamt hinter dem Rand der Gipfelkuppe verschwunden waren.
    Niccolo war wieder allein auf dem Berg. Allein mit den Aetherpumpen und dem uralten Rätsel, das sie umgab.
    Eine Weile lang lief er um die schwarzen Türme herum, ertappte sich sogar dabei, dass er das Gleiche tat wie die anderen vor ihm: Er horchte am Metall, fuhr mit den Fingerspitzen darüber, suchte nach Anzeichen für irgendetwas Außergewöh n liches hoch oben an den Aetherfühlern.
    Aber nichts. Keine Antworten. Nicht einmal Fragen. Alles war genauso wie immer.
    Zögernd machte er sich an den Abstieg. Es wurde bereits dunkel, als er das Haus erreichte, windumtost in der Dämm e rung, weil ein Höhensturm aufzog, für den es wieder mal keine Vorzeichen gegeben hatte.
    Niccolo sah nach den Tieren, erzählte den Schweinen, was er erlebt hatte, wunderte sich nicht, dass auch sie keine Lösung wussten, und ging ins Haus, um seine Tauben zu braten.
    Der Sturm kam schneller, als er erwartet hatte, rüttelte an den Fensterkreuzen und ließ die Holzwände erbeben. Die Kühe draußen im Stall muhten ängstlich. Die Schweine scharrten im Stroh, bis sie auf weiße Wolkenmasse stießen.
    Am nächsten Morgen erwachte er von Erschütterungen. Der Boden unter seinem Bett bebte, das ganze Haus erzitterte. Jetzt schrien sogar die Schweine vor Angst.
    Doch es war nicht der Sturm, der Niccolos Welt aus den Fugen hob.
    * * *
    Er rollte aus dem Bett und kämpfte sich schwankend auf die Füße, während das Geschrei der Tiere aus dem Stall immer lauter wurde. Er stürzte abermals hin, als er in seine Hose schlüpfte, kletterte dann halb laufend, halb kriechend zwischen einstürzenden Bücherstapeln zur Tür.
    Draußen fiel es ihm leichter, sich aufzurappeln. Mit einer Hand hielt er sich am Türpfosten fest, während er darauf wartete, dass das Beben verebbte. Aber die Erschütterungen setzten sich fort. Vom frühen Sonnenlicht geblendet sah er zum Rand der Wolke hinüber. Die losen Dunstfetzen lösten sich von der festen Masse und trieben davon, nicht wie sonst zur Seite, sondern nach oben.
    Die Wolkeninsel verlor an Höhe!
    Niccolos erste Sorge galt seinen Schweinen und Kühen. Mit schlingernden Schritten eilte er zum Stall und riss das Tor auf. Die Bretterwände klapperten und knirschten, aber das Dach war stabil genug, um die Erschütterungen aufzufangen. Die zehn Schweine quiekten angsterfüllt durcheinander und stießen mit den Schnauzen ans Gatter ihrer Pferche. Auch die beiden Kühe muhten aufgeregt, standen aber da wie erstarrt, als vergrößere jede unnötige Bewegung die Gefahr. Niccolo lief von einer Absperrung zur nächsten und redete beruhigend auf die Tiere ein, während ihm selbst die Frage durch den Kopf geisterte, ob dies nun das Ende wäre.
    Die Wolkeninsel war niemals zuvor gesunken. Sicher, Stürme hatten sie durchgeschüttelt, Tornados die Höfe verwüstet oder starke Regenfälle das Tal unter Wasser gesetzt. Aber nie war sie dem Erdboden näher gekommen als bis auf zweitausend Meter. Das war ein ungeschriebenes physikalisches Gesetz, so wie die Tatsache, dass Regen nun einmal von oben fiel und Väter, die dem Rand zu nahe kamen, unweigerlich in die Tiefe stürzten.
    Zweitausend Meter. Das war die unsichtbare Grenze der Hohen Lüfte, die vorderste Schwelle zum Reich des Aethers.
    Und nun sanken sie, zum ersten Mal seit zweihundertfünfzig Jahren.
    Niccolo rief den Tieren zu,
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