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Das Wörterbuch des Viktor Vau

Titel: Das Wörterbuch des Viktor Vau
Autoren: Gerd Ruebenstrunk
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etwas mit unserem Pinidium-Problem zu tun?«
    Das Pinidium-Problem war der derzeitig herrschende Streit zwischen Dagombé und der Dynastie über den Export des seltenen Edelmetalls in die Union. Pinidium war unverzichtbar für die Herstellung moderner Hightechgeräte. Bislang gab es zwei bekannte Vorkommen auf der Welt, eines tief in der sibirischen Tundra, das andere in Dagombé. Allerdings war absehbar, dass das sibirische Vorkommen in Kürze erschöpft sein würde.
    Winter schüttelte den Kopf. »Ich sehe keinen Zusammenhang, Sir. Die Agenten der Dynastie sind schon länger vor Ort, und wir haben ihre Aktivitäten unter Kontrolle. Wer sich heute bei mir angemeldet hat, sind die Direktoren der beiden Dienste, Fitzsimmons und de Moulinsart. Sie wollen persönlich herkommen, um sich über den Stand der Untersuchungen zu informieren.«
    Banda leerte seine Tasse mit einem Zug. »Gut. Lassen Sie die Herren einreisen. Vielleicht bekommen wir dann heraus, was das Objekt so einzigartig macht. Wenn die Union ihre führenden Vertreter schickt, muss mehr dahinterstecken, als wir ahnen.«
    Â»Ganz meine Meinung, Sir.«
    Â»Und wenn das, was die Untersuchungen zutage fördern, wirklich einen Wert besitzt, erwarte ich, dass wir den alleinigen Zugriff darauf haben.«
    Â»Ich werde dafür sorgen, Sir.« Winter erhob sich. »Ich halte Sie auf dem Laufenden.«
    Â»Aber verlieren Sie die andere Angelegenheit dabei nicht aus dem Auge.« Banda griff zur Aktenmappe. »Kurzfristig ist das für unser Überleben wichtiger. Und für Ihre Gehaltszahlungen.«
    Winter nickte. »Keine Sorge, Sir. Alles verläuft so wie geplant.«
    Banda öffnete eine Akte und vertiefte sich darin.
    Die Audienz war beendet.

du:
Viktor
1.
    Hauptstadt der Union
    Viktor Vau war das, was man einen Gentleman der alten Schule nannte. Obwohl er seit über zwanzig Jahren allein lebte und keine tiefer gehenden sozialen Beziehungen unterhielt, war es für ihn undenkbar, sich nicht jeden Tag so zu kleiden, als habe er einen wichtigen gesellschaftlichen Termin wahrzunehmen.
    So war es auch an diesem Septembermorgen. Nach der Morgentoilette hatte er eine halbe Stunde damit verbracht, sich anzukleiden. Unter seinen tadellos gebügelten Hemden wählte er eines mit feinen blauweißen Karos aus sowie eine silbergraue Seidenkrawatte mit einem dezenten, quadratischen Muster. Die über Nacht gepresste graue Hose fiel locker über ein Paar handgemachte schwarze Lederschuhe, die er am Vorabend eingecremt und gebürstet hatte, obgleich er sie bereits seit zwei Wochen nicht mehr getragen hatte.
    Dazu wählte Viktor ein dunkelblaues Jackett aus einem leicht gewebten Stoff, denn er rechnete heute ebenso wenig mit kühlen Temperaturen wie der Wetterbericht, den er stets vor dem Ankleiden hörte. Schließlich griff er noch zu einem leichten blauen Sommermantel, den er jedoch nicht zuknöpfte. Aus dem Ständer neben dem Kleiderschrank nahm er nacheinander mehrere Gehstöcke und prüfte, welcher davon am besten passte. Er entschied sich für einen schwarzen Stock aus Eichenholz, der ebenso glänzend poliert war wie seine Schuhe.
    Er nahm seine Aktentasche auf, die er bereits am vorherigen Abend gepackt hatte, und schloss die Wohnungstür hinter sich. Im Flur roch es nach Couscous und Knoblauch, und aus einer der Wohnungen in den oberen Stockwerken drangen die klagenden Töne einer nordafrikanischen Sängerin. Viktor zog die rechte Augenbraue hoch; das einzige Anzeichen, dass er sich über etwas ärgerte. Als er in das Haus eingezogen war, wurden alle Etagen von Akademikern wie ihm bewohnt, hochrangigen Beamten der Stadtverwaltung oder Lehrern. Im Laufe der Jahre waren die meisten von ihnen aufs Land gezogen und hatten ihn hier zurückgelassen. Danach waren die Kaukasier und Nordafrikaner gekommen, angelockt von den Arbeitsmöglichkeiten, die sich durch die bevorstehende Weltausstellung boten. Sobald eine Wohnung frei wurde, war wenig später, so schien es Viktor, eine Großfamilie zur Stelle und belegte die Räume mit Beschlag, welche als Behausung für maximal zwei Personen ausgelegt waren. Mit ihnen kam moderne Musik, Gerüche unbekannter Speisen und ein Lärmpegel, der Viktor allzu oft in seiner Arbeit störte.
    Â»Ich sollte umziehen«, dachte Viktor wieder, wusste zugleich aber, dass er den Gedanken vergessen haben würde, sobald er das Haus
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