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Das Wörterbuch des Viktor Vau

Titel: Das Wörterbuch des Viktor Vau
Autoren: Gerd Ruebenstrunk
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zwanzig mal zwanzig Meter großer Sockel, auf dem die Skulpturen Präsident Bandas, des Vizepräsidenten Valentino Plassmann und des Wirtschaftsministers Hanoué Hanoué für alle Zeiten die Wand der Cambridge-Kaserne emporkletterten, um den Militärputsch einzuleiten, der die Demokratische Republik Dagombé begründet hatte.
    Als Joel Winter die Tür der klimatisierten Limousine zuschlug, wunderte er sich zum wiederholten Mal, wie es Banda so weit hatte bringen können. Der Präsident war gerade zweiundvierzig Jahre alt, hatte in Oxford studiert und anschließend beim Militär in Dagombé Karriere gemacht. In einem Staatsstreich war es ihm vor einigen Jahren gelungen, die Macht an sich zu reißen und dem Land, das bis dahin de facto eine Provinz der Republik Niger gewesen war, Unabhängigkeit sowie die internationale Anerkennung zu bringen.
    Banda galt als moderner, europäisch orientierter Reformer, was ihn in den Nachbarstaaten nicht sonderlich beliebt machte. Winter wusste es besser. Seit nunmehr fünf Jahren arbeitete er für Banda als Leiter des Dagombé Intelligence Service, kurz DIS . In dieser Funktion hatte er nicht nur direkten Zugang zum Präsidenten, sondern auch zu allen weiteren Informationen, die der Öffentlichkeit nicht bekannt wurden.
    Von den Milliarden, die in den letzten Jahren ins Land geflossen waren, war ein nicht unbeträchtlicher Teil in den Taschen der Regierenden verschwunden. Das Geld wurde über die unterschiedlichsten Firmenkonstruktionen, beherrscht von Verwandten der Führungstroika, abgesaugt und auf anonymen Konten in diversen Steuerparadiesen gelagert.
    Winter lief die Stufen des Präsidentenpalastes empor, vorbei an zwei wie versteinert dastehenden Soldaten mit Karabinern. Banda liebte es, den volksnahen Präsidenten zu mimen. Deshalb war sein Palast weder durch eine Zufahrt abgeschirmt noch sichtbar bewacht. Auf den umliegenden Gebäuden jedoch lagen Scharfschützen verborgen, die den gesamten Platz und den Eingang des Präsidentenpalastes kontrollierten. Und selbst wenn es einem ungebetenen Gast gelingen sollte, das Gebäude zu erreichen, wurde er spätestens hinter den hohen Holzportalen von einem beängstigend kaltblütigen und effizienten Sicherheitsdienst abgefangen. Ein Dienst, den Winter in den letzten Jahren aufgebaut hatte. Trotz des schwülheißen Klimas schwitzte Winter nicht, wahrscheinlich eine genetische Disposition, die ihm die Arbeit in Dagombé deutlich erleichterte. Er stieß eine der mächtigen Eingangstüren auf und betrat eine Empfangshalle, deren Höhe und Größe jeden Besucher auf Zwergenmaß schrumpfen ließ.
    In der Mitte der Halle befand sich ein einsames Pult, hinter dem einer der zahlreichen Sekretäre Bandas saß. Der Präsident stammte aus einer weitverzweigten Familie und hatte, wie es in Afrika Brauch war, allen Angehörigen einen Job verschafft. So kam es, dass rund vierzig Cousins, Onkel und Neffen als Sekretäre im Präsidentenpalast arbeiteten. Den Titel trugen sie allerdings nur für ihre Visitenkarten, mit denen sie im Freundeskreis ihre Bedeutung für das Funktionieren des Staates unter Beweis stellen konnten. Ihre Tätigkeit im Palast entsprach der von Pförtnern, Nachtwächtern und Türöffnern. Keiner besaß auch nur den geringsten Einfluss auf Banda, und der Präsident legte großen Wert darauf, dass das auch so blieb.
    Winter näherte sich dem Pult, das heute von einem Großonkel des Präsidenten besetzt war. Seine Aufgabe bestand darin, Besucher telefonisch einem zweiten Sekretär zu melden, der einen anderen benachrichtigte und der einen weiteren, bis die Information an eine Stelle gelangte, die mit einer gewissen Entscheidungskompetenz ausgestattet war. Das war meistens Bandas Vorzimmer, welches von Mrs. Snyder beherrscht wurde, einer resoluten Sechzigjährigen, deren Vornamen niemand kannte. Man munkelte, dass sie einmal das Kindermädchen des Präsidenten gewesen war und er ihr unbegrenztes Vertrauen schenkte.
    Winter blieb aufgrund seiner besonderen Stellung die Anmeldeprozedur erspart. Er grüßte Bandas Großonkel und ging direkt weiter zu dem Flur, an dessen Ende Bandas Trakt begann. Der Präsident residierte in mehreren Räumen, die er für unterschiedliche Zwecke nutzte. Es gab ein im zeitgenössischen Stil eingerichtetes Büro mit gläsernem Schreibtisch und
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