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Das wilde Leben

Das wilde Leben

Titel: Das wilde Leben
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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Verteidigungsministeriums, war Offizierswitwe, trug ein schwarzes, hoch geschlitztes Kleid, goldene Ringe an den Fingern, schwere Ketten um den Hals, war sorgfältig geschminkt und blickte irgendwie verwirrt und träumerisch
aufs Meer. Die Freunde setzten sich neben sie an den Tisch und wußten nicht, wo sie ihre Hände lassen sollten, wurden nervös und begannen zu schwitzen. Die Witwe wollte, daß sie den Wein entkorkten, zuerst versuchte es Bodja, aber der Wein glitt ihm aus den Händen, Vjetal nahm die Flasche, vergeblich, die Witwe winkte ab und holte aus dem Buffet eine angebrochene Pulle Schnaps. Die Freunde tranken und spürten die Wirkung sofort. Die Frau rauchte viel, fragte sie über die Schule aus und erzählte von ihrem Leben.
    Ihr Mann sei Offizier der Kampftruppen gewesen, von Kindheit an habe sie davon geträumt, einen Offizier der Kampftruppen zu heiraten, ihr wißt nicht, was das heißt, Flotte, sagte sie, die Hitze, das verborgene Feuer, die Offiziersfamilien, sie schlug ein Bein über das andere, und die Freunde bemerkten ihre dunkelrote Wäsche, das lange Warten, Rendezvous und Leidenschaft, Schwüre und Abschiede, die Frau lehnte sich zu den Freunden hinüber, ihnen stockte der Atem von dem, was sie sahen, dann lange Monate Einsamkeit, Warten auf Nachrichten, die Erschöpfung ungeteilter Leidenschaft, wißt ihr, was das ist? Die Freunde nickten. Die Frau erzählte ihnen von U-Booten, von leeren Kasernen, von salziger Gischt und den Farbenspielen der Sonne, sagte, sie käme jetzt jedes Jahr auf die Krim, im Frühling, wenn noch keine Leute da seien, um sich an alles zu erinnern, was sie Schönes erlebt habe.
    Sich gegenseitig ins Wort fallend, erzählten nun auch die Freunde der schwarzen Witwe von ihrem Leben, sie sollte sehen, daß sie auch etwas davon verstünden, daß sie mit ihren sechzehn Jahren dem Schicksal schon mehr als einmal die Stirn geboten, zehn ausgeraubte Zigarettenkioske
und Hunderte gestohlene Mobiltelefone auf dem Kerbholz hatten, daß sie den wahren Preis der Liebe und der Treue kannten und daß die düstere süße Welt des Verbrechens sie gelehrt hatte, Frauen gegenüber hart, aber gerecht aufzutreten. Danach verlor Bodja für einen Moment das Gleichgewicht und fiel vom Stuhl, und Vjetal rannte raus und kotzte in die Dusche. Die Frau aber brachte neuen Schnaps, und ihre freundschaftliche Unterhaltung plätscherte gemütlich weiter, die Freunde versuchten so lange vergeblich, den Wein zu öffnen, bis die Flasche zerbrach, rauchten Damen-Papirossen, sangen mit der Frau Piratenlieder, wie echte Seewölfe, während sie sich in ihrem warmen Bett wälzten, das nach Parfum, Puder und Einsamkeit roch. Gegen Mitternacht wurden sie etwas nüchterner und wollten sich auf den Weg machen, sie müßten gehen, sagten sie. Natürlich, sagte die Frau, geht nur, im Prinzip könntet ihr aber auch bleiben, fügte sie hinzu und trat auf den Balkon, um der Nachtluft ihren sehr gepflegten sechzigjährigen Körper zu präsentieren, die warme weiche Haut mit all ihren Mulden und Wölbungen, das Kleid und die Wäsche. Der Wind spielte in ihrer dichten Perücke, die Schiffe tuteten von der Reede her, die Wächter der Tore und Türme schossen Salut, und die Astronauten, die am südlichen Himmel flogen, schickten ihr über Satellit einen Gruß.
    Inzwischen stritten sich die Freunde darüber, wer bleiben durfte. Bodja meinte, er solle bleiben, weil er sie angemacht habe – dort, im Geschäft. Vjetal widersprach und versicherte, er müsse bleiben, schließlich habe er gerade die Weinflasche zerdeppert. Bodja wollte tricksen und erklärte, so müde zu sein, daß er nicht die Kraft habe zu gehen, worauf sich Vjetal auf Erpressung verlegte und damit drohte,
alles vollzukotzen. Als die Freunde sich aufeinanderstürzten, die Stühle umwarfen und große Teller mit dem Emblem des Verteidigungsministeriums zerschlugen, beobachtete die Frau sie aus den Augenwinkeln und versuchte sich zu erinnern, wann zum letzten Mal so um sie gekämpft worden war. Die Kampfhähne aber saßen entkräftet auf dem Boden, seufzten schwer und wischten sich die Tränen ab. Vjetal hielt es als erster nicht mehr aus, ihm wurde wieder schlecht, er stürzte in die dunkle Nacht, schlüpfte zum Tor hinaus und verschwand hinter den Palmen, wobei er das Weibergeschlecht und die unbeständige männliche Freundschaft verfluchte. Bodja blieb, und was ihm in jener Nacht geschah, ist eine eigene Erzählung wert.
    Gegen Morgen stieß der traurige
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