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Das wilde Leben

Das wilde Leben

Titel: Das wilde Leben
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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wie schwarzes schweres Silber dunkelte.
    Manchmal saßen sie unten in der Stadt in der Bar, tranken Starkwein und hörten der Musikbox zu. Von Zeit zu Zeit lieferten sie sich Kämpfe mit den Ortsansässigen. Sie stürzten sich in die Schlacht, gaben sich gegenseitig Deckung, und wenn die Ortsansässigen stark in der Überzahl waren, traten sie durch die engen Gassen schnell den Rückzug an, die verwundeten Kameraden auf den Schultern. Daheim auf dem Autohof hockten sie sich vor die Glotze und sahen ohne Ende fern – Talkshows, Nachrichten, sogar Werbung. Nur beim Fußball machten sie den Fernseher aus,
weil sie nicht wußten, für wen sie hier in diesen Bergen sein sollten.
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    In Jalta hielten sie zuerst im tatarischen Viertel. Es handelte sich um ein paar von den Krimtataren besetze Hochhäuser. Die Behörden versuchten schon seit ein paar Jahren, sie da rauszuschmeißen, aber die Tataren hielten als geschlossene Kommune zusammen und wehrten alle Angriffe ab. Der dunkelhäutige Gabriel führte Vjetal durch irgendwelche Winkel, sie nahmen den Hintereingang und standen plötzlich im von Dunkelheit und Gerüchen durchdrungenen Treppenhaus. Gabriel ging ohne Zögern voran, stieg die dunkle Treppe hoch, betrat Wohnungen, die von innen nicht abgeschlossen waren und wo auf dem Boden Dutzende Erwachsene und Kinder schliefen, schlüpfte in die Wohnungsdämmerung hinein, aus irgendwelchen Seitentüren, Abstellräumen und Klos tauchten plötzlich dubiose Gestalten auf, drückten Gabriel die Hand, wechselten ein paar Worte mit ihm, und Gabriel lief weiter, in die oberen Stockwerke. In den Wohnungen gab es kaum Möbel, auf dem Boden lagen Teppiche, Steppdecken, Soldatenmäntel, die Bewohner waren schläfrig und mißtrauisch, die Frauen schliefen in bunten T-Shirts und schrillen Strümpfen, die Männer hatten Tücher und Schals um ihre Hälse gewickelt, alle grüßten Gabriel, kochten starken Kräutertee, holten irgendwelche orientalischen Süßigkeiten und rohes Fleisch hervor, drückten Gabriel zerknitterte Scheine, Zigaretten und Telefonkarten in die Hand, nahmen ihm die Ware ab und legten sich wieder hin, tauchten unter Steppdecken und Sol
datenmäntel, zogen sich alte Decken und Fahnen über den Kopf, schalteten die Nachttischlampen aus, dann versanken die Wohnungen wieder in Stille und Schlaf. Gabriel trat aus dem Haus und lief zum nächsten Gebäude, grüßte auf der Treppe irgendwelche Bewohner, die schon aufgestanden waren, stürzte in morgendliche Zimmer, kletterte über schläfrige Männer, kroch zu Frauen ins Bett, weckte sie mit leisen Worten und Berührungen, die Frauen freuten sich, die Männer bemerkten ihn nicht. Danach stiegen sie wieder aufs Moped und kurvten lange durch die Vororte von Jalta, schließlich hielten sie vor einem Einfamilienhaus hinter einem Zaun aus Wellblech. Eine Zeitlang versuchten sie, sich bemerkbar zu machen. Endlich wurde aufgemacht, sie gingen über den Hof, auf dem zwei irre aussehende Schäferhunde patrouillierten, und betraten das Haus. Dort stießen sie auf die irgendwie merkwürdigen Bewohner, etwa zwei Dutzend gespenstische Sektierer, überwiegend Frauen, sie sahen wie wegen Nichterfüllung des Plansolls gefeuerte Nutten aus, was sie tatsächlich trieben, war unklar. Die Frauen schliefen gemeinsam, ebenfalls auf dem Boden, aßen im großen Zimmer, waren still und machten keinen Lärm. Gabriel beachteten sie kaum, obwohl er sich sehr bemühte. Sie nahmen das Mitgebrachte entgegen, drängten die beiden dann aber sofort hinaus und stimmten ein seltsames Lied an, das wie die von Islamisten gesungene US -Hymne klang.
    Wir müssen noch wo hinfahren, sagte Gabriel, während er sein Moped startete. Und fuhr zu den für heute letzten Kunden: illegale Unternehmer, die daheim eine Kaffeeproduktion aufgemacht hatten. Sie kauften große Partien billigen Rohstoff, Zucker und Milchpulver, hatten sich Original
etiketten beschafft, so daß die Ware von außen attraktiv aussah und von Großhändlern gerne gekauft wurde. Den Kaffee mahlten die Unternehmer in Betonmischern, im Raum standen zwei nagelneue Betonmischer, die zwecks Ausweitung der Produktion extra beschafft worden waren, die Kaffeebohnen wurden hineingeschüttet, gearbeitet wurde mit Feuereifer, und das Vermögen wuchs. Pro Tag wurde in diesem seltsamen alchemistischen Unternehmen bis zu einer Tonne Normalkaffee hergestellt. Vjetal guckte begeistert auf die Betonmischer, machte sich sofort an die Arbeit, half den Töchtern des
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