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Das wilde Leben

Das wilde Leben

Titel: Das wilde Leben
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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sich schon wieder auf den Abend freuten, sahen sie auf ihrer Plantage Fremdlinge, die freudig die herrenlosen Sträucher abklopften. Es handelte sich um Rastafaris aus Krasnojarsk, die sich bereits seit zwei Wochen ohne Geld, Papiere und irgendwelche Aussichten auf Erfolg zum Bahnhof durchschlugen und zufällig auf dieses Neuland gestoßen waren. Es kam zu einer kurzen Auseinandersetzung zwischen den Moldawiern und den Rastas aus Krasnojarsk, in der die Rastafaris eine Niederlage einstecken und sich in die Berge zurückziehen mußten. Zunächst wollten sie die Moldawier an die Miliz verpfeifen, damit die frechen Bessarabier hoppsgenommen würden, rafften aber rechtzeitig, daß die Miliz wohl mit den Moldawiern auch die gesamte Ernte hoppsnehmen würde. Auch die Moldawier wagten es nicht, die Rastas an die Miliz zu verpfeifen, und nach Krasnojarsk zurückzukehren, machten die auch keine Anstalten. Eine Pattsituation. Die Moldawier beschlossen, die Krasnojarsker nicht aufs Feld zu lassen, und organisierten Wache rund um die Uhr. Nachts rollten sie vom Autohof schwarze Reifen heran, zündeten sie an und beschützten im Licht des brennenden Gummis ihr Hab und Gut. Über ihren Köpfen glühten in der Nacht, die genauso schwarz war wie das Gummi, hungrig glänzend die Augen der Rastas, die sich nicht näher herantrauten und die reifen Stengel aus sicherer Entfernung gierig mit den Augen verschlangen. In der dritten schlaflos verkifften Nacht schlugen die Moldawier einen Kompromiss vor – sie ließen die Rastafaris ihre Rucksäcke mit Hanf vollstopfen, danach soll
ten sie sich aber sofort verpissen, am besten direkt nach Krasnojarsk. Die Rastas ließen sich das nicht zweimal sagen, sie packten schnell und stiegen ins Tal hinab, hoffnungsfroh, was ihre eigene Rasta-Zukunft betraf. Unten wurden sie von der Miliz geschnappt. Zusammen mit ihren Rucksäcken. Nach einem kurzen, aber intensiven Verhör packten sie aus und gaben den Standort der Plantage preis. Zu ihrer Ehre aber muss gesagt werden, daß sie die Moldawier nicht verpfiffen. Die Miliz kam mit Sensen, die Sergeanten nahmen ihre Koppeln ab und legten los. Die entrechteten und enttäuschten Moldawier verfolgten vom Wald aus wachsam jeden Sensenhieb. Nach einigen Wochen wurde das Wetter endgültig schlecht, und die Regenfälle setzten ein.
    Im Oktober starb in der U-Haft der General. Die Ärzte stellten als Todesursache Herzversagen fest und bastelten lange am Generalsschädel herum, um die drei Kugellöcher zu vertuschen. Die Moldawier verfolgten das Begräbnis im Fernsehen und tranken Rasierwasser auf den Frieden der Generalsseele. Ende Oktober kam die Generalstochter, sagte, die Konten ihres Vaters seien immer noch gesperrt, deswegen müsse man bis zum Frühling warten, im Frühling könne man auch wieder an die Arbeit, weil, wie es in einem alten moldawischen Sprichwort heißt, die Arbeit ja kein Wolf ist und nicht davonläuft, aber solange die Konten gesperrt sind, wird kein Lohn gezahlt. Die Moldawier hatten keine Böcke, nach Hause zu fahren, und beschlossen, hier zu überwintern. So sparte man sich die Kosten für die Reise. Sie blieben auf dem Autohof. Ohne Arbeit und vollwertige Gesellschaft verwilderten sie total, in der Stadt hatte man Angst vor ihnen, Graupe und Nudeln kriegten sie auf Kredit. Ein Moldawier heiratete in der Stadt eine Zigeunerin,
die er an der Bushaltestelle kennengelernt hatte, und reiste mit ihr in unbekannte Richtung ab, ohne seine Freunde darüber zu informieren. Ein anderer geriet unter die Tataren und wollte sogar zum Islam konvertieren. Er arbeitete in einer illegalen Fabrik, die Kaffee herstellte, und hatte nicht vor, zu seinen Landsleuten zurückzukehren. Der Dritte machte einen Bruch, trat die Türen der Stadtapotheke ein und stopfte sich die Taschen mit irgendwelchem Importzeug gegen Erkältung voll, das zusammen mit Cola halluzinogen wirkte. Am nächsten Tag wurde er mit starker Übelkeit ins Krankenhaus eingeliefert, wohl von der Cola, hing dort eine Woche ab und wurde danach ins herbstlich unwirtliche Moldau abgeschoben. Die übrigen Moldawier verstummten vorerst, lebten auf dem Autohof wie die Sieben Zwerge, eigentlich störten sie niemanden, brachten alles, was sie nur finden konnten, zur Altmetallsammelstelle und handelten in der Stadt mit den Resten des im Herbst geernteten Cannabis. Der Winter war warm und regnerisch, im Morgengrauen kamen sie aus den Garagen, machten Feuer, wärmten sich und schauten aufs Meer, das unten
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