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Das weiße Krokodil

Das weiße Krokodil

Titel: Das weiße Krokodil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. C. Bergius
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du fällst.«
    Tie-tie betrachtete skeptisch die mit glitschigen Algen bewachsenen unteren Stufen der Treppe. »Wäre es nicht besser, wenn du…?«
    »Nein, nein«, unterbrach ihn Yen-sun. »Dies ist deine neue Heimat. Darum sollst du als erster den Boden betreten.«
    Tie-tie warf ihm einen dankbaren Blick zu. Dann hob er seine Kutte und tat, wie ihm geheißen. Ganz wohl war es ihm allerdings nicht zumute, doch als er sicher auf der Treppe stand, faltete er die Hände und schaute mit verklärter Miene zur Pagode empor, bis der junge Chinese seinen Arm um ihn legte und ihn zu einer höher gelegenen trockenen Stufe geleitete.
    »Am besten wird es sein, wenn du dich hierhersetzt und wartest, bis wir eine begehbare Schneise geschlagen haben«, sagte Yen-sun, wobei er prüfend über die verwilderte Treppe blickte.
    Davon wollte Tie-tie nichts wissen. Er wünschte sogleich die Pagode aufzusuchen, und er ließ sich von seinem Vorhaben auch nicht abhalten, als Yen-sun ihn ärgerlich einen starrsinnigen Greis nannte, dem es nur recht geschehe, wenn er fallen und sich die Knochen brechen würde.
    Tie-tie nahm ihm den temperamentvollen Ausbruch nicht übel; er wußte, daß er unvernünftig handelte. Es war ihm aber immer noch lieber, sich einen Arm oder ein Bein zu brechen, als durch untätiges Dasitzen mitschuldig am Tod von Tieren zu werden, die sich zweifellos überall eingenistet hatten und nun Gefahr liefen, unter ein schwungvoll geführtes Buschmesser zu geraten. Nur um solches zu verhindern, eilte er die unwegsamen Stufen empor, wobei er unablässig in die Hände klatschte und heisere Krächzlaute ausstieß, um eventuell auf dem Weg befindliche Tiere zu verscheuchen.
    »Er ist verrückt geworden!« rief Yen-sun seinen Kameraden zu und rannte hinter Tie-tie her, der auf halber Treppenhöhe stehenblieb und verwundert in die Luft starrte.
    Schleiereulen, die normalerweise erst am Abend erscheinen, lösten sich von der Pagode und strichen lautlos über ihn hinweg. Ihnen folgten Fledermäuse, Kolibris, Baumhühner und Waldschnepfen. Und dann brach ein Spektakel aus, als seien alle Dschungelbewohner mit einem Schlag erwacht. Papageien kreischten, Affen schrien, Gachos schluchzten und Gibbons lallten. Dazu das unheimlich klingende Brechen von morschen Ästen und das immer wieder gehässig ausgestoßene ›Kat-kat‹ der in hohen Baumkronen nistenden Nashornvögel.
    Ein schwarzer Riesenwaran jagte über die Treppe, als Yen-sun den greisen Tie-tie erreichte und ihn auftrumpfend fragte: »Siehst du jetzt ein, daß du besser unten geblieben wärest?«
    Tie-tie zeigte ein entwaffnendes Lächeln. »Im Gegenteil! Ich habe erreicht, was ich erreichen wollte. Die Tiere sind gewarnt, und eure Messer können keinen Schaden mehr anrichten.«
    Yen-sun schüttelte den Kopf. »Du bist der komischste Kauz, der mir je begegnet ist.«
    »Dann wirst du sicherlich Verständnis dafür haben, wenn ich dich nun bitte, nur soviel Pflanzen zu beseitigen, wie es unumgänglich notwendig ist.«
    »Wie du willst«, erwiderte Yen-sun.
    Tie-ties Augen waren voller Schalk. »Jetzt darfst du mich sogar zur Pagode begleiten.«
    Das durch die ungewohnte Störung hervorgerufene Gezeter der Urwaldbewohner verebbte erst, als die Sonne den Zenit überschritten hatte und Yen-sun mit seinen Kameraden wieder davongerudert war. Er hatte einen gut begehbaren Aufgang zur Pagode geschaffen und dem greisen Tie-tie zum Abschied versichert, daß er ihn möglichst jeden Monat einmal aufsuchen werde. Tie-tie hatte sich darüber gefreut, da er wohl wußte, daß er sich nunmehr an einem Platz befand, von dem er sich selbst nicht entfernen konnte. Diese Überlegung bedrückte ihn jedoch nicht. Im Gegenteil, er fühlte sich wie von einer Zentnerlast befreit und war besonders glücklich, weil Yen-sun ihm zu guter Letzt auch noch das Versprechen gegeben hatte, keinesfalls auf das weiße Krokodil zu schießen und es unbehelligt seiner Wege ziehen zu lassen, wenn er oder seine Kameraden es entdecken sollten.
    Vom Fuße der Treppe aus winkte Tie-tie so lange hinter den Männern her, bis er ihr Boot in den zum Muda führenden Klong einbiegen sah. Dann suchte er einen nur wenige Schritte vom Ufer entfernt stehenden Regenbaum auf, in dessen Schatten er den Karton mit den beiden Hühnern abgestellt hatte.
    »Jetzt werde ich mich erst einmal um euch kümmern«, sagte er zu den verängstigt dreinschauenden Hennen, setzte sich auf den Boden und begann mit dem Lösen des Netzes, das über die

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