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Das weiße Krokodil

Das weiße Krokodil

Titel: Das weiße Krokodil
Autoren: C. C. Bergius
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Ausblick auf das Meer gestattete, als er plötzlich die Lippen spitzte und einen merkwürdigen Zwischenschritt einlegte, der nur ein vom Alter verhinderter Freudensprung sein konnte. Im nächsten Moment rutschte er eine kleine Böschung hinab, an deren Fuß er geradenwegs in eine Bananenstaude hineinpurzelte.
    Ich habe gespürt, daß ich einem glückbringenden Tag entgegengehe, dachte er und kicherte über sich selbst, als er, der Länge nach am Boden liegend, von unten die Staude betrachtete, die er eben noch von oben gesehen hatte. Eigentlich sollte ich ein so schönes Gebilde nicht zerstören. Aber der Mensch kann nicht ohne Nahrung und Wahrheit leben: der Himmel läßt die Früchte für uns wachsen, und wir müssen dankbar entgegennehmen, was sich uns bietet. »Om mani padme hum!«
    Nach diesem Stoßgebet, das Tie-tie, wie jeder Tibeter, viele hundertmal am Tage an den in allen Tempeln in einer Lotosblume sitzend dargestellten Verkünder der buddhistischen Lehre richtete, entnahm er seinem Beutel ein kleines Messer und schnitt vorsichtig eine Banane aus der Staude. Dann legte er sich auf den Rücken und gab sich ganz dem Genuß der köstlich duftenden Frucht hin.
    Nachdem er bedächtig einige Bananen verzehrt und zwei weitere mit beinahe schuldbewußter Miene in seinen Beutel gesteckt hatte, kehrte er zur Straße zurück und machte sich erneut auf den Weg.
    Die Sonne stand nun bereits ziemlich hoch, und da die Chaussee keinen Schatten bot, zog Tie-tie aus einer Falte seines Gewandes ein nicht eben sehr sauberes, aber offensichtlich vielfach gewaschenes Leinentuch, das er sich so über den Kopf legte, daß es auch sein Gesicht noch schützte. Seit über einem Jahr schon bediente er sich dieses Tuches, genaugenommen seit jenem Tage, da er in Mandalay, der einstigen Hauptstadt des Königreiches Birma, den reißenden Irawady mit dem Fährboot eines großherzigen Birmanen überquert hatte. Noch erfüllt von den vielen Pagoden und Gebetsstationen, die er tagelang durchpilgert hatte, war er an die Reling des Schiffes getreten, um einen letzten Blick auf den im Fluß gelegenen mächtigen Inselfelsen zu werfen, den mannigfache Tempelbauten krönten, als ein jäher Windstoß seine Mönchskapuze erfaßte und sie wie eine aufgeblähte Tüte in das sprudelnd vorbeifließende Wasser schleuderte. Seit dieser Stunde benutzte er das von einer gütigen Bauersfrau erhaltene Leinentuch als Kopfbedeckung und sah er jeder Flußüberquerung mit gemischten Gefühlen entgegen.
    An sein unliebsames, vom Allmächtigen aber sicherlich nicht grundlos herbeigeführtes Erlebnis auf dem Irawady erinnerte sich Tie-tie, als er nach stundenlanger Wanderung durch glühende Hitze am Nachmittag einen breiten, schwarzschimmernden Strom erreichte, an dem die Straße jäh endete.
    Das Umgehen japanischer Kontrollpunkte führt allem Anschein nach doch zu keinem befriedigenden Ergebnis, dachte er betrübt, aber bereits in der nächsten Sekunde erhellte sich sein runzeliges Gesicht, da er in der Nähe des Flusses eine unter hohen Bäumen auf Pfählen errichtete Hütte entdeckte, die mit Palmenblättern abgedeckt war. Und unter dieser typisch malaiischen Behausung hockten im Sand etliche Hühner.
    Wo Federvieh sich aufhält, ist die Hausfrau nicht fern, sagte sich der greise Tie-tie und ging auf die verträumt daliegende Hütte zu, wobei er seinem Beutel einen Almosennapf entnahm und sich kräftig räusperte, um sich bemerkbar zu machen.
    Als erstes reagierte ein desperat aussehender Hahn, der heisere Warnlaute ausstieß. Dann erschien ein junger Chinese im Rahmen der mit Schnüren verhangenen Tür der Hütte, die von einem schmalen Balkon umgeben war, und hinter ihm tauchte eine zierliche Frau auf, gefolgt von zwei kleinen Kindern, die nur bis knapp über die Nabel reichende Hemdchen trugen und den Mönch aus großen Augen ansahen.
    Um Tie-ties schmale Lippen spielte ein heimliches Lächeln, als er angesichts des halbnackten Jungen und Mädchens sein »Om mani padme hum!« murmelte. Dann aber veränderte sich sein Mienenspiel, und er erkundigte sich erwartungsvoll, ob die ehrenwerte Familie zufällig die ihm leidlich geläufige Sprache der chinesischen Provinz Tsing-hai verstehen könne.
    Der breitgesichtige und fast schon mongolisch aussehende Chinese tat einen Freudenschrei und stürzte förmlich die Treppe hinunter, um den Mönch zu umarmen. »Und ob ich dich verstehe! Du sprichst sogar genau unseren Dialekt!«
    Tie-tie erstarrte. »Der Allmächtige sei
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