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Das weiße Krokodil

Das weiße Krokodil

Titel: Das weiße Krokodil
Autoren: C. C. Bergius
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die dem liebenswerten Mönch das Leben in der Einsamkeit erleichtern sollten. Er brauchte doch Handtücher, Decken und Kochgeräte.
    Ihre Geschäftigkeit beunruhigte Tie-tie. Er wollte das entbehrungsreiche Leben eines Eremiten führen und nicht das eines sich zur Ruhe setzenden Greises, das Yen-suns Frau allem Anschein nach vorschwebte. Er ließ sie jedoch gewähren, weil er sie nicht enttäuschen wollte und befürchtete, daß sie sich dann noch mehr Gedanken um ihn machen würde.
    Aber er fühlte sich wie von einer Zentnerlast befreit, als Yen-suns Fischkutter nach einwöchiger Wartezeit den Fluß heraufkam und der junge Chinese ihm sagte, daß er ihn gleich am nächsten Morgen zur Sandelholz-Pagode bringen würde.
    »Om mani padme hum!« flüsterte er voller Dankbarkeit, nicht ahnend, daß er wenige Minuten später zufällig Zeuge eines Gespräches werden sollte, in dessen Verlauf Yen-sun die zurückgekehrten Fischer bat, ihre wohlverdiente Ruhepause um einen Tag zu verschieben und ihn mit dem Ruderboot zum Klong des weißen Krokodils zu begleiten.
    »Hast du Angst vor dem Biest?« fragte ihn einer der beiden lachend.
    »Unsinn!« erwiderte Yen-sun und fügte mit gedämpfter Stimme hinzu: »Bei uns weilt ein Mönch, der sich als Einsiedler in der verlassenen Pagode niederlassen will. Er war in meiner Heimat, und ich möchte ihm behilflich sein.«
    »Und was sollen wir dabei tun?«
    »Sim befürchtet, daß er im Gestrüpp des Dschungels hängenbleiben könnte. Wir sollen mit unseren Buschmessern etwas Ordnung schaffen und versuchen, das weiße Krokodil abzuknallen.«
    Die Lippen Tie-ties spitzten sich. Das könnte euch so passen, dachte er mit dem ihm eigenen Gleichmut. Aber daraus wird nichts. So rührend die Sorge der kleinen Sim auch sein mag, auf mein Krokodil wird nicht geschossen!
    Mein Krokodil, dachte er, und er hatte es noch nicht einmal gesehen. Doch er sah die im Bug unter einer Persenning verstauten Gewehre, als er im Morgengrauen des darauffolgenden Tages in das mit vielen nützlichen Dingen beladene Boot einstieg und auf dem hinteren Sitz Platz nahm. Unmittelbar vor ihm stand ein mit einem Netz überspannter Karton, in dem zwei verschüchtert dreinblickende Hennen hockten, die er nur mitnahm, weil er die Kinder, die ihm die Hühner zum Abschied geschenkt hatten, nicht kränken wollte. Insgeheim freute er sich natürlich über das Federvieh; ein Ei ist nicht zu verachten, und ein Gespräch mit einem Tier kann oftmals helfen, ein verlorengegangenes Herz wiederzufinden.
    Yen-suns Frau standen Tränen in den Augen, als das Boot abstieß und der greise Tie-tie wie segnend seine Hand hob. Ihr Herz verkrampfte sich, da sie der Überzeugung war, daß er einer Katastrophe entgegengehe, wenn es den ihn begleitenden Männern nicht gelingen würde, das weiße Krokodil für immer zu erledigen.
    Tie-tie indessen machte sich nicht die geringste Sorge.
    Die Hände um den zwischen den Beinen gehaltenen Pilgerstab gefaltet, schaute er glücklich über den ruhig dahinfließenden Fluß, in dem sich der morgendliche Himmel und der bis an die Ufer heranreichende Urwald glasklar spiegelten. Er genoß die Stille des beginnenden Tages, die auch die gleichmäßig rudernden Fischer und den am Bug sitzenden Yen-sun zu beeindrucken schien. Jedenfalls waren sie ungewöhnlich schweigsam. Ihre Versonnenheit wich nur in Augenblicken, in denen sich irgend etwas in der Natur regte; wenn Wildenten keckernd aus dem Schilf herausschossen, Nashornvögel ihr wütendes ›Kat-kat‹ ausstießen oder Affen plötzlich ein infernalisches Geschrei anstimmten. In solchen Momenten wanderten die Blicke der Männer unverzüglich über das in der Nähe befindliche Ufer, und Tie-tie war sich bald darüber klar, wonach sie Ausschau hielten und was sie zu entdecken hofften: das weiße Krokodil!
    Sekundenlang überfiel ihn eine panische Angst, dann kam ihm jedoch ein rettender Gedanke, den er sogleich in die Tat umsetzte. Er wandte sich an Yen-sun und bat ihn, den Platz mit ihm zu wechseln.
    Der junge Chinese sah ihn verwundert an. »Ich verstehe deinen Wunsch nicht. Dein Sitz ist doch viel bequemer.«
    »Möglich«, antwortete Tie-tie. »Von hier aus kann ich aber nur die Rücken der Ruderer und nicht den vor uns liegenden Fluß sehen. Außerdem ist mir gerade eine Geschichte eingefallen, die ich euch erzählen möchte.«
    »Das kannst du auch von dort aus.«
    »Rede du mal, wenn die Zuhörer dir den Rücken zukehren!«
    Yen-sun erhob sich. »Ich gebe
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