Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das weiße Krokodil

Das weiße Krokodil

Titel: Das weiße Krokodil
Autoren: C. C. Bergius
Vom Netzwerk:
noch schlimmer. Der Regent von Lhasa sandte uns die niederschmetternde Nachricht, daß er sich außerstande sehe, den bei ihm angeforderten Betrag zur Verfügung zu stellen, da in der Nationalversammlung plötzlich das Gerücht verbreitet worden sei, er arbeite mit der chinesischen Regierung Hand in Hand und partizipiere an der als Lösegeld verlangten Summe. Er teilte uns deshalb mit, daß ihm unter den gegebenen Umständen nichts anderes übrigbleibe, als sich in die Einsamkeit zurückzuziehen und den Himmel zu bitten, den als 14. Dalai-Lama erkannten Knaben durch ein Wunder zu befreien und nach Lhasa zu führen.«
    »Und das Wunder geschah?«
    Tie-tie nickte mit verklärter Miene. »Allerdings nicht sogleich, sondern erst nach Ablauf eines Jahres, als die Entwicklung der Dinge so bedrückend geworden war, daß ich in meiner Verzweiflung den zweistöckigen Golddachtempel aufsuchte, in dem ich nach innigem Gebet das Gelübde ablegte, mein Leben als Einsiedler zu beenden, wenn das vom Regenten erflehte Wunder eintreten würde. Du wirst es kaum glauben, aber es vergingen nur zwei Wochen, da erschienen einige fremde Kaufleute im Kloster Kumbum, die offenherzig erklärten, daß sie auf Grund ihres Vermögens und ihrer weltweiten Geschäftsverbindungen sehr wohl in der Lage seien, den einstmals einträglichen, seit langem jedoch daniederliegenden Wollhandel des Klosters neu zu beleben, wenn man ihnen günstige Preise einräumen würde und keinen Anstoß daran nehme, daß sie Mohammedaner seien. Der Abt des Klosters hieß sie daraufhin herzlich willkommen, und als die Händler von der Auffindung und der willkürlichen Internierung des 14. Dalai-Lama hörten, erklärten sie sich spontan bereit, das geforderte Lösegeld vorzustrecken.«
    »Schlaue Burschen!« warf Yen-sun ketzerisch ein. »Ihre Hilfeleistung dürfte ihnen ein hübsches Dauergeschäft eingebracht haben.«
    Der greise Tie-tie sah ihn vorwurfsvoll an. »Warst du auch ein schlauer Bursche, als du dem kranken Chang die Arbeit abnahmst?«
    Yen-sun blickte betreten zu Boden.
    »Man soll anderen nicht unterstellen, was man selbst nicht unterstellt bekommen möchte«, fuhr Tie-tie mit sanfter Stimme fort. »Damit will ich freilich nicht ausschließen, daß jene mohammedanischen Kaufleute kalte Rechner waren. Doch was geht uns das an? Das Leben kann schrecklich nüchtern, aber auch ein einziges Märchen sein; es kommt nur auf unseren Standpunkt an. Man kann die Auffassung vertreten: Große Fische fressen kleine, die kleinen fressen Insekten, und die Insekten nähren sich von Kräutern und Schlamm! Man kann aber auch sagen: Wie schön und gut ist es doch, daß der Lärm von sieben Weisen und sechs Gelehrten nicht nötig ist, um Fische und Insekten leben zu machen.«
    Yen-sun lachte spröde. »Du hast recht, ehrwürdiger Vater. Ich werde mich bemühen, in Zukunft erst zu denken und dann zu reden. Aber nun mußt du mir noch sagen, weshalb du dein Gelübde ausgerechnet in Malaya erfüllen willst?«
    Tie-tie warf ihm einen verschmitzten Blick zu. »Ich las einmal ein Buch über Südostasien, das geheime Wünsche in mir wachrief. Als die mohammedanischen Kaufleute uns nun halfen und ich hörte, daß einige von ihnen aus Malaya kamen, da habe ich mir gesagt: Der Allgegenwärtige wird es mir gewiß nicht verübeln, wenn ich mein Gelöbnis etwas erweitere und mir eine Wanderung in die Heimat jener Männer auferlege, deren gütige Hilfestellung es ermöglichte, den 14. Dalai-Lama nach Lhasa zu bringen und ihn dort feierlich zu inthronisieren.«
    Yen-sun legte ihm die Hand auf die Schulter. »Bei so viel Ehrlichkeit kann der Himmel nur wohlwollend auf dich herabblicken.«
    Der greise Tie-tie wollte gerade etwas erwidern, als eines der beiden Kinder, die immer noch auf dem Boden hockten, an seiner Kutte zupfte. »Allmächtiger!« entflog es ihm. »Ich rede und rede und kümmere mich kein bißchen um euch. Kommt zu mir!« fügte er liebevoll hinzu und streckte ihnen die Arme entgegen. »Setzt euch auf meinen Schoß.«
    Das Mädchen entsprach seiner Bitte ohne Scheu. Ihr älterer Bruder aber blieb vor ihm stehen und fragte: »Erzählst du uns dann auch eine Geschichte?«
    »Aber gewiß!« antwortete er aufgekratzt. »Ihr müßt mir nur sagen, was ihr hören wollt.«
    »Eine schöne Geschichte.«
    »Ja, dann laßt mich mal nachdenken«, erwiderte Tie-tie mit grüblerischer Miene. Dabei fiel sein Blick durch das Fenster auf Yen-suns Frau, die am Fluß kniete und Wäsche wusch. »Ich
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher