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Das weiße Krokodil

Das weiße Krokodil

Titel: Das weiße Krokodil
Autoren: C. C. Bergius
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menschenunwürdigen Blutvergießen kommen würde. Sie alle waren eher bereit zu sterben, als zu töten, nur um das eigene Leben zu erhalten. Aber gerade darum hätte jeder gerne gewußt, weshalb das Militär sie begleiten sollte.
    Auch Tie-tie, der von morgens bis abends zufrieden lächelnd auf dem Rücken eines schwerfälligen Yaks saß und seine gute Laune selbst in Stunden nicht verlor, in denen klirrende Kälte und eisige Paß winde das Leben unerträglich machten, stellte sich oftmals diese Frage. Sie bewegte ihn besonders, weil ihm der Regent etliche Gegenstände anvertraut hatte, die dem zu suchenden Knaben prüfungshalber vorgelegt werden sollten. Was immer geschehen mochte, er mußte die ihm übergebenen Kostbarkeiten sicher an das Ziel der Reise bringen. Doch er wäre nicht er selbst gewesen, wenn ihm sein einfältiges Herz nicht geholfen hätte, die Sorge zu überwinden, die ihn dann und wann überfiel. Er glaubte an den Himmel und daran, daß Reinheit und Ruhe das Richtmaß der Welt sind.
    Monate benötigte die nur langsam vorwärts kommende Karawane zur Überwindung des gewaltigen Bergrückens Transhimalayas und vieler anderer Gebirgsmassive. Sturm, Regen, Schnee und Eis waren ihre ständigen Begleiter. Der mit der Zeit doch stark geschwächte Tie-tie atmete erleichtert auf, als die Höhe des Sharu-Passes erreicht wurde und der Abstieg zum Oberlauf des Yangtsekiang beginnen konnte, nachdem alle nicht Kahlgeschorenen dem Paßgott ihr Opfer in der vorgeschriebenen Weise dargebracht hatten: jeder riß sich ein Haar aus und befestigte es mit etwas Butter an einem Felsen.
    Tagelang dauerte der teilweise über gefährliche Geröllhalden hinwegführende Abstieg, dann aber strebten die Lasttiere und Pferde wie besessen dem saftigen Ufer des an dieser Stelle noch schmalen Lebensstromes Chinas entgegen. Doch kaum war der Fluß erreicht, da erschienen einige verzagt aussehende Mönche, die mit tränenerstickten Stimmen meldeten, daß der auf der Rückreise von Peking nach Lhasa befindliche Pantschen-Lama, der zweithöchste Würdenträger der ›Gelben Kirche‹, in der nicht weit entfernten Ortschaft Giergundo im Sterben liege.
    Die Nachricht traf die Expeditionsteilnehmer wie ein Blitzstrahl und trieb sie auf schnellstem Wege zum Pantschen-Lama, den sie in seiner letzten Lebensstunde antrafen. Er verlangte sogleich den mit der Suche des Heiligen im neuen Fleische beauftragten Priester zu sprechen und sagte ihm mit schwindender Kraft, daß er aus übergroßer Sorge um die Auffindung des 14. Dalai-Lama in den vergangenen Monaten stärker denn je alle Knaben beobachtet habe, denen er auf seiner langen Reise begegnet sei. Dabei seien ihm drei besonders aufgefallen, deren Wohnorte er sich notiert habe, und er bitte inständig darum, diese als erste aufzusuchen und zu prüfen.
    Der Expeditionsleiter konnte dem Pantschen-Lama gerade noch versichern, daß er seinen Wunsch erfüllen werde, dann ging der Geist des großen Gelehrten in die verehrungswürdige Sphäre zur Wiedergeburt ein.
    Aber so bedauerlich sein Ableben auch war, die Mitglieder der Suchexpedition gerieten in eine hoffnungsvolle Stimmung und waren tief beeindruckt, als sich herausstellte, daß die vom Pantschen-Lama bezeichneten drei Wohnorte ausnahmslos in der unmittelbaren Nähe des Kuku-nor lagen. Darüber hinaus erzählten seine Reisebegleiter, daß sie eine Weile in dem nicht weit vom ›Blauen See‹ entfernt gelegenen Kloster Kumbum gewohnt hätten, dessen Tempel ein zweistöckiges Golddach ziere. Und in eben diesem Tempel habe bei einer Segenserteilung ein Knabe, den eine Bäuerin auf dem Arm getragen habe, plötzlich die Quaste des Segenszepters ergriffen und sie nicht mehr loslassen wollen. Verständlicherweise sei der Pantschen-Lama von diesem Knaben am stärksten beeindruckt gewesen, doch im Interesse einer objektiven Beurteilung der drei Kandidaten sei es sicherlich am besten, zuerst die beiden anderen aufzusuchen und zu prüfen.
    Noch erfüllt von dem Gehörten, machten sich die Expeditionsteilnehmer am nächsten Morgen auf den Weg, der nun bei weitem nicht mehr so beschwerlich war. Aber es dauerte dennoch fünf Wochen, bis der Kuku-nor erreicht wurde. Und hier zweifelte schon nach wenigen Tagen niemand mehr daran, daß der dritte Kandidat der 14. Dalai-Lama sein müsse. Denn der zuerst aufgesuchte Knabe rannte beim Anblick der vielen Mönche schreiend davon; ein untrügliches Zeichen dafür, daß er nicht die Inkarnation des 13. Dalai-Lama
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