Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Weihnachtshaus

Das Weihnachtshaus

Titel: Das Weihnachtshaus
Autoren: Robin Jones Gunn
Vom Netzwerk:
Pullover, der auf dem Schoß eines irritiert dreinschauenden Weihnachtsmannes saß, der aussah wie ein Zauberer.
    Ohne zu zögern, griff Angela nach dem Papier mit dem geprägten Siegel. Sie warf einen Blick darauf und verkündete dieselbe Wahrheit wie ihre Mutter. Die Wahrheit, die meine eigene Mutter mir verschwiegen hatte.
    Ich hatte tatsächlich einen Vater.
    Ich hatte eine Geburtsurkunde von einem Krankenhaus, und selbst ich wusste, dass in Papieren mit geprägtem Siegel die Wahrheit steht. Auf der Urkunde stand in der Zeile über dem Wort «Vater» ein Name. Jay Ames.
    Es gab ihn, meinen Vater. Und meine Mutter hatte ihn von mir ferngehalten.
    An dem Tag habe ich mir geschworen, nie wieder ein Theaterstück anzuschauen. Es war der einzige Weg, wie ich mich an Eve Carson, der Schauspielerin, rächen konnte für all ihre Lügen, ihre großen Auftritte, ihre vielen vorgetäuschten Welten.
    Von nun an lehnte ich Fabeln und Märchen ab. Die mythischen Gestalten, die sie mir nahegebracht hatte, gab es nicht mehr. Die Zahnfee, den Osterhasen und ganz besonders den Weihnachtsmann.
    Die einzige Fabel, an die ich noch glaubte, war die vom gelbäugigen Drachen, der in heißen Nächten aus dem Pool unseres Motels trank. Denn den hatte ich gesehen .
    Statt an meine unwirklichen Freunde begann ich nun heimlich an meinen Vater zu glauben. Ich war mir sicher, es gab ihn irgendwo auf der Welt. Er wartete auf mich, ein Auge offen, und dachte über mich nach, so, wie ich über ihn nachdachte.

FÜNFTES KAPITEL
    «Noch einen Tee?»
    Katharines Frage holte mich aus den Tiefen meiner Erinnerung zurück in die Gegenwart und nach England und an diesen behaglichen und ruhigen Ort.
    «Ich bringe etwas heißes Wasser.» Katharine stellte eine weiße Keramikkanne auf den Tisch. «Wenn Sie möchten, bringe ich frischen Tee. Wenn Sie Ihren Tee nur aufwärmen möchten, gießen Sie einfach heißes Wasser nach. Der Tee wird inzwischen ziemlich stark sein.»
    «Das mache ich. Danke.»
    Sie entfernte sich nicht.
    «Die Scones sind übrigens sehr gut.»
    «Möchten Sie noch einen?»
    «Nein, danke. Ich hätte aber gern die Rechnung. Wie viel bin ich Ihnen schuldig?»
    «Nichts.» Sie machte eine einladende Handbewegung. «Das ist mein kleines Weihnachtsgeschenk für Sie.»
    «Nein, wirklich, ich möchte gern bezahlen.» Ich griff nach meinem Portemonnaie.
«Dieses Mal nicht», sagte sie bestimmt. «Dieses Mal würde ich Ihnen gern etwas geben. Das nächste Mal können Sie mir etwas geben.»
    Eigenartig, dass sie mit dieser gastfreundlichen Geste auf ein «nächstes Mal» anspielte. Ich dachte, ich hätte deutlich gemacht, dass ich auf der Durchreise war und nicht bleiben oder zurückkehren würde.
    «Haben Sie sich denn schon entschieden wegen der Aufführung heute Abend?»
    Ich hielt inne. Um mich selbst zu schützen, sollte ich mich auf den Weg machen. Ich sollte den Gedanken fallen lassen, dass irgendjemand in der Stadt den Mann und den Jungen auf dem Foto erkennen könnte. Ich brauchte es nicht zu wissen. Das Geheimnis um die Identität meines Vaters konnte ruhig mit mir sterben, genau so, wie es mit dem Tod meiner Mutter vor achtzehn Jahren gestorben war. Wenn meine Mutter heute hier gewesen wäre, dann hätte sie die Aufführung voller Begeisterung besucht. Für mich galt das nicht.
    «Würde Ihre Mutter denn gern kommen?», fragte Katherine.
    Ich blickte sie eindringlich an. Hatte ich laut über meine Mutter gesprochen? Ich war der Meinung, dass ich nur über meine Erinnerungen nachgedacht hatte.
    Mehrere Freunde und Zimmergenossen hatten mir über die Jahre hinweg erzählt, dass ich im Schlaf, aber auch im wachen Zustand Selbstgespräche führte. Wenn ich tief in Gedanken war, murmelte ich wohl vor mich hin. Ich musste meine Mutter erwähnt haben, deshalb fragte Katharine nach ihr.
    «Meine Mutter ist schon vor langer Zeit gestorben.»
    Überraschenderweise fühlte ich mich sicher genug, um meinen einfachen und einstudierten Spruch hinzuzufügen.
    Er würde Anteilnahme wecken, und er würde das Thema abschließen.
    «Als ich elf war, fiel sie auf einer Freilichtbühne in Salinas von einem Gerüst. Bei einer Kostümprobe zu Der Kaufmann von Venedig . Sie starb zwei Tage später an inneren Blutungen. Wie auch immer, die Show ging weiter.»
    Ich ging davon aus, dass ich damit meine Abneigung gegen das Theater ausreichend erklärt hätte. Auch wenn ich nicht hinzufügte, dass ich alle Phantasiewelten grundsätzlich ablehnte. Katharine würde
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher