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Das Weihnachtshaus

Das Weihnachtshaus

Titel: Das Weihnachtshaus
Autoren: Robin Jones Gunn
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zeigte 11   :   58 Uhr an. Genau die Zeit, auf die ich sie am späten Vormittag gestellt hatte, als ich in Heathrow das Flugzeug verließ. Irritiert klopfte ich auf das Gehäuse der Uhr, als ob ich sie dadurch wieder zum Gehen bringen könnte. «Ich sehe, Sie haben etwas vor und möchten schließen. Ich werde …»
    «Ts, ts, ts.» Die Laute klangen so, als wolle sie ein Eichhörnchen mit Nüssen auf eine Parkbank locken. Aber ich verstand, was sie eigentlich damit meinte. Ich sollte bleiben und nicht davonlaufen.
    «Setzen Sie sich irgendwo hin. Hätten Sie gern einen Scone zum Tee oder vielleicht Rumkuchen?»
    «Nur Tee, vielen Dank.»
    Ich ging zum Kaminfeuer, und mir fiel ein, dass ein Scone vielleicht doch ganz verlockend wäre. Seit dem halb garen Omelett zum Frühstück im Flugzeug hatte ich nichts mehr gegessen.
    «Eigentlich hätte ich doch gern einen Scone. Wenn es Ihnen nicht zu viel Umstände macht.»
    «Das macht überhaupt keine Umstände.»
    Ihr Lächeln war weich und mütterlich. Ich schätzte sie auf Anfang fünfzig, vielleicht etwas älter. Sie drehte sich um, und schon bald hörte ich sie in der Küche hantieren.
    Ich setzte mich an einen massiven Tisch in der Nähe des Feuers und versuchte meine große Schultertasche unter dem Stuhl zu verstauen. Die Steine vor dem Kamin waren geschwärzt, was sicherlich dem Ruß von Jahrhunderten zuzuschreiben war. Doch der Zauber des Raumes entfaltete sich erst richtig, als ich mich gesetzt hatte und die Gemütlichkeit ganz unmittelbar spüren konnte. Dies war ein Ort der Ruhe. Ein Ort, an dem sich Vertrauen zwischen Freunden aufgebaut hatte und seit vielen Jahren bewahrt wurde.
    Das Gefühl von Geborgenheit und Trost rührte an mein Innerstes, und ich merkte, wie Tränen in mir aufstiegen. Doch ich hielt sie zurück, denn genau so ein Überschwang an Gefühlen war der Grund für diese Reise gewesen.
    Ich lehnte mich zurück, blinzelte und ließ die Hitze des Kaminfeuers durch meinen Körper strömen. Katharine kam mit einem Tablett zurück. Eine dampfende Teekanne, über die ein oben zusammengezogener Wärmer aus Chintz gestülpt war, stand in der Mitte.
    Sogar die Teekannen haben es hier gemütlich!

    «Ich habe zwei Scones für Sie warm gemacht, und hier ist cremig geschlagene Sahne dazu. Außerdem habe ich Ihnen Himbeermarmelade gebracht, oder hätten Sie lieber Erdbeer?»
    «Nein, ist schon in Ordnung so. Alles bestens. Vielen Dank.»
    Katharine hob die Teekanne an und goss die dampfende Flüssigkeit in meine Teetasse. Ich hatte einen Moment lang das Gefühl, in die eigentümliche Parallelwelt von Narnia geraten zu sein.
    Als Kind hatte ich die Chroniken von Narnia von C. S. Lewis mehrere Male gelesen. In meiner Vorstellung spielte ich die Geschichten mehrfach durch und versetzte mich in Lucy hinein, die durch einen Wandschrank eine magische Welt betritt.
    Hier, im Land von Narnias Autor, wurde mir bewusst, wie sehr meine Umgebung Lewis’ Beschreibungen jener magischen Welt ähnelte: Ein wärmendes Feuer hieß mich bei meiner Ankunft aus der Kälte willkommen. Aber es war kein Reh, das mich zum Tee einlud, sondern jemand in einem Kilt. Statt Mrs   Beaver goss mir eine hochgewachsene Frau in einem roten Abendkleid ein belebendes Getränk am Feuer ein.
    Ein unliebsamer Gedanke kam mir so plötzlich und so klar in den Sinn, als hätte jemand ihn mir zugeflüstert: Miranda, wie lange willst du noch glauben, dass «immer Winter ist und nie Weihnachten»?

ZWEITES KAPITEL
    Ich achtete nicht mehr auf das geheimnisvolle Flüstern, das mich überrascht hatte, und nahm schnell einen Schluck von dem dampfenden Tee.
    «Sehr gut.» Ich nickte Katharine zu, die immer noch neben dem Tisch stand, als ob sie auf meine nächste Bitte wartete.
    «Sind Sie wegen Weihnachten nach Carlton Heath gekommen?» Ihre Stimme war wohltuend.
    «Ja. Na ja, eigentlich nicht. Nicht wegen Weihnachten. Ich bin … Ich suche … Ich bin …»
    «… einfach zu Besuch?», beendete sie den Satz für mich.
    «Ja, einfach zu Besuch.»
    Hier im Teehaus fühlte ich mich vom Grund meiner Reise längst nicht mehr so eingeschüchtert wie vorhin, als ich noch allein da draußen gestanden hatte. Ohne etwas preiszugeben, blickte ich die freundliche Katharine an und sagte: «Darf ich Ihnen eine Frage stellen?»
    «Aber natürlich.»
    «Ich bin auf der Suche nach dem Carlton Heath-Fotostudio in der Bexley Lane. Ich bin die ganze Straße abgegangen, konnte es aber nicht finden. Können Sie mir
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