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Das Weihnachtshaus

Das Weihnachtshaus

Titel: Das Weihnachtshaus
Autoren: Robin Jones Gunn
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naiv.
    Die Entdeckungen erfolgten kurz hintereinander, während wir in Ashland lebten. In einer scheußlichen Nacht während unseres zweiten Monats im Swan Motel fiel unsere Klimaanlage aus. Es war zu spät, um an der Rezeption nach einem Handwerker zu fragen. Und es war zu heiß zum Schlafen.
    Meine Mutter riet mir, still zu liegen und mir vorzustellen, eine Schneeflocke auf einem Eisberg in Alaska zu sein. Ich versuchte es, aber es klappte nicht. Ich war nicht begabt genug fürs Method Acting.
    «Dann los, mein kleiner Fisch», sagte sie. «Wir werden schwimmen gehen.»
    «Jetzt?»
    «Ja, jetzt.»
    Ich folgte meiner Mutter die Treppe hinunter; beide hatten wir nur unsere dünnen Baumwollschlafanzüge an. Der Pool des Motels war klein und vom Parkplatz durch einen Maschendrahtzaun abgetrennt, der mit grünen Hartplastikplatten verkleidet war. Die Außenbeleuchtung des Swan Motels wirkte blass und müde, als ob es ihr zu heiß wäre, um ganz hell zu leuchten, und sie sich selbst abgedunkelt hätte.
    «Es ist immer noch heiß hier draußen», flüsterte ich.
    «Ja, stimmt», murmelte sie in der Stille. «Heiß wie der Atem eines Drachens.»
    Meine Mutter öffnete den Riegel an der Tür zum Poolbereich. Sie ging geradewegs hinein, als ob das Schild «Pool nach 21 Uhr geschlossen» für jeden galt außer für uns.
    «Sie werden heute Nacht eine kühle Wasserstelle suchen.» Sie tauchte ihren Fuß in den flachen Teil des Beckens. «Wenn die Drachen kommen, wirst du ihnen erlauben, so viel zu trinken, wie sie möchten. Ungestört. Ja?»
    Ich nickte.
    «Du darfst nur ganz kleine Wellen machen.»
    Ich nickte wieder und hielt meine dünnen Beine ins Wasser.
    Und dann sah ich ihn. Den einäugigen Drachen.
    In dem glatten dunklen Wasser sah das glimmende Licht unter dem Sprungbrett aus wie das halb offene gelbe Auge eines getarnten Drachens, der uns anstarrte.
    Ein Schauer lief mir über den Rücken.
    Ohne auf den Drachen zu achten, ließ meine Mutter
    sich ins Wasser gleiten und tauchte lautlos unter. Ich beobachtete, wie ihr viel zu großer Schlafanzug um sie herumwogte wie eine Qualle.
    Tapfer ließ ich mich bis zum Hals ins Wasser gleiten. Den Drachen am tiefen Ende des Pools behielt ich dabei immer im Auge.
    Er bewegte sich nicht. Und ich bewegte mich auch nicht.
    Zwischen uns lag eine unbewegte Wasserfläche.
    Meine Mutter schwamm ruhig hin und her. Ich bewegte mich und blinzelte nur, wenn es sein musste. Dann stieg sie aus dem Pool und bedeutete mir, ihr zu folgen.
    Wir liefen so schnell wie möglich zu unserem Zimmer zurück.
    Sie legte den Zeigefinger auf die Lippen und sagte: «Wir müssen uns beeilen, damit uns keiner von ihnen zu unserem Zimmer folgt. Drachen werden von Chlorgeruch angezogen.»
    Sie steckte leise den Schlüssel ins Schloss und drehte ihn einmal, zweimal, dreimal.
    «Mach schnell!», bettelte ich mit ganz leiser Stimme. Die Hosenbeine meines Schlafanzugs klebten an mir, und das Wasser aus dem Pool bildete langsam Pfützen vor unserer Tür. Mit jedem Tropfen hinterließ es mehr Chlorspuren.
    «Öffne dich!», befahl meine Mutter dem Türknauf. Und plötzlich griff der Schlüssel. Wir drückten uns zusammen durch die Tür, und ich hörte auf zu jammern.
    Meine Mutter machte die Tür schnell zu, schloss ab, legte die Kette vor und bedeutete mir, vorsichtig durch die Gardine aus dem vorderen Fenster zu schauen. Ich blinzelte zu dem gelben Unterwasserauge hin, das sich nicht vom tiefen Ende des Pools fortbewegt hatte. Wir standen nebeneinander, wagten kaum zu atmen in der Dunkelheit und stanken nach Chlor. Mein Herz raste vor Freude.
    Einige Tage später war ich allein in unserem Motelzimmer und wartete auf Carlita. Ich saß auf einem Stuhl am Fenster und beobachtete ein Mädchen in einem geblümten Badeanzug, das kreischend im Pool herumplanschte.
    Ich hatte keine Ferien wie sie. Ich lebte im Swan Motel und wusste alles über den gelbäugigen Drachen, der in drückend heißen Nächten herauskam und seinen feurigen Atem über den Pool blies. Ich fragte mich, ob ich es ihr erzählen sollte.
    Das quirlige Mädchen wurde von seinem Vater auf die Schultern gehoben, hielt sich die Nase zu und ließ sich von dort ins tiefe Wasser des Pools plumpsen. Und wieder. Und wieder. Sie hatte keine Angst.
    Ich wollte das auch. Ich wollte nach draußen an den Pool und mitmachen. Ich wollte von den starken Schultern des Vaters in den Pool tauchen, genau wie dieses lachende Mädchen. Ich wollte das, was sie hatte.
    In
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