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Infantizid

Titel: Infantizid
Autoren: Matthias Grit; Hoffman Bode-Hoffmann
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ERSTER TEIL: DER ÜBERFALL
    Freitag, 24. Oktober 2003, 20:30 Uhr
    Er hielt sich genau an die erlaubte Geschwindigkeitsbegrenzung auf diesem Teilstück der Autobahn. Auf der A4, zwischen Frankfurt/Main und Dresden, gab es unzählige Baustellen und man kam nur schleppend voran. Wie jeden Freitag fuhren die Pendler nach Hause, die die vergangene Woche in ganz Westeuropa gearbeitet hatten. Aus aller Herren Länder waren sie Richtung Osten unterwegs – Polen, Russen, Tschechen, Ukrainer. Neuerdings hatte die Polizei sogar Radarfallen in den Warnbaken der Baustellen versteckt. Es gab deswegen in der Öffentlichkeit erhebliche Unruhe. Doch die Leute fanden sich, wie üblich, irgendwann damit ab. Er wusste von diesen Fallen und hielt sich exakt an die Verkehrsregeln. Er war in der Vergangenheit noch nie in polizeilichen Computern erfasst worden und das sollte auch so bleiben.
    Der Überfall war wie immer ohne Probleme verlaufen. Die Zeit- und Routenpläne der Sicherheits- und Geldtransportfirma, die er von der Ermittlungsgruppe zugespielt bekommen hatte, stimmten exakt. Die Fahrer wechselten zwar oft die Anfahrtswege, aber die Uhrzeit ihres Eintreffens am Classic-Center im Norden Weimars war stets die gleiche. Er hatte die Abläufe genau studiert und wusste, dass das Fahrzeug immer unmittelbar vor dem Eingang des Centers geparkt wurde. Der Fahrzeugführer blieb so lange allein im Führerhaus des Autos, bis sein Kollege mit den Geldbomben des Einkaufscenters wieder erschien. Dann stieg der Fahrer aus, öffnete die Tür zum Laderaum, kletterte hinein und half dem anderen, die Taschen zu verstauen.
    Vor einer Stunde hatte er ein Fahrzeug genau dort, wo sonst der Sicherheitswagen hält, geparkt. Dadurch war der Transporter gezwungen, ein Stück weiterzufahren. Am Ende dieses Stellplatzes befanden sich Büsche. Der Rest war für ihn ein Kinderspiel. In dem Moment, als der Fahrer im Laderaum des Transporters verschwand, sprang er den anderen Sicherheitsmann mit den Taschen von hinten an, riss dessen Kinn zur Seite und brach ihm augenblicklich das Genick. Mit der anderen Hand stach er ihm mit einem einzigen Stoß sein Messer in die Herzgrube, direkt hinter das Schlüsselbein. Insgesamt dauerte es nicht einmal drei Sekunden. Er legte die Leiche lautlos auf den Boden. Als der Fahrer leicht gebückt aus dem Laderaum an die offene Tür kam und auf den ersten Koffer wartete, traf ihn ein gezielter Fingerstich mitten auf den Kehlkopf. In derselben Sekunde starb er. Nachdem der Mörder sich vergewissert hatte, dass er nicht beobachtet wurde, schleppte er die Männer in das Gebüsch. Dann tat er etwas, was eigentlich völlig sinnlos war, denn er war sich sicher, dass beide tot waren. Er fesselte jedem einzeln die Daumen auf dem Rücken mit einem Schnürsenkel zusammen, den er ihnen aus ihrem jeweils rechten Schuh zog. Mit einem Webleinsteg und einem halben Schlag obendrauf, zur Sicherheit. Er hatte es nun mal so gelernt. Wenn er früher im Training Gefangene für einige Zeit allein lassen musste, verbanden sie deren Daumen auch auf diese Art. Es war keinem jemals gelungen, sich zu befreien. Nachdem er die toten Wachleute an einen kleinen Stamm gelehnt hatte, ging er zum Auto zurück, nahm die Taschen, die nach ihrem Gewicht Geldscheine vermuten ließen, zog die Tür des Transporters zu, setzte sich in sein Auto und fuhr davon.
    Ein Teil seines Auftrages war erledigt. Er würde in zwei Tagen mit dem erbeuteten Geld die Zielperson besuchen. Bis dahin mussten all die Sachen verschwinden, die er bei sich hatte: Schuhe, Hose, Jacke, Sturmhaube, Messer, sogar die Unterwäsche. Nichts, aber auch gar nichts durfte ihn mit diesem Überfall in Verbindung bringen. Das Auto würde morgen ›abgeholt‹ werden und es würde nie wieder auftauchen, dessen war er sich sicher.
    Seine Zielperson hatte zwei turbulente Jahre hinter sich. Die Frau hatte ihn verlassen und er musste das Haus verkaufen. Innerhalb von sechs Monaten war er schon das zweite Mal umgezogen. In der neuen Wohnung lebte er erst seit drei Wochen.
    Trotz der Tatsache, dass sich die Zielperson bei den Behörden noch nicht umgemeldet hatte, wurde mir seine derzeitige Adresse schon mitgeteilt, dachte er. Diese Organisation ist absolut einmalig.
    Die Person war erstaunlich gut in Form, ausdauernd und zäh. Viele andere wären mit Sicherheit Alkoholiker geworden oder hätten sich anders gehen
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