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Das Wahre Spiel 01 - Der Königszug

Das Wahre Spiel 01 - Der Königszug

Titel: Das Wahre Spiel 01 - Der Königszug
Autoren: Sheri S. Tepper
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Spieler.«
    Ich lief rot an. Wie schlau! Das wußte doch jeder im Raum. Aber Schüler waren weder stark noch besaßen sie Macht, obwohl Karl gern so tat, als ob. Es handelte sich hier wieder einmal um sein übliches Sticheln, das das Leben mit ihm so gemütlich machte wie mit einem Igel. Der Spielmeister neigte den Kopf, zum Zeichen, daß er Karls Worte gehört hatte, antwortete aber nicht. Statt dessen schaute er auf das Chronometer an der Wand, daraufhin aus dem Fenster, um zu sehen, an welcher Stelle der Bergschatten über den Hafen fiel, und dann zu unserer kleinen dicht zusammengedrängten Gruppe. »So. Genug für heute. Macht, daß ihr zum Feuer und zu eurem Abendessen kommt. Einige von euch sind bereits halb erfroren.«
    Wir alle waren halb erfroren. Die Modelle konnten nur bespielt werden, wenn sie sich im eiskalten Zustand befanden, und deshalb verbrachten wir die Hälfte unseres Lebens in bitterer Kälte. Mir war ebenso kalt wie allen anderen, aber ich wollte vermeiden, Karl zu treffen, und deshalb ging ich zu dem hohen Fenster hinüber, lehnte mich hinaus und spähte nach Süden. Eine Reihe höckriger Inseln trennte den windstillen Hafen mit seinen kreisenden Möwen von dem großen stürmischen See und den aufregenden Ländern des Wahren Spiels dahinter. Ich murmelte etwas. Gervaise verlangte, daß ich es laut wiederholte.
    »Es ist langweilig hier in der Schulstadt«, sagte ich mit schamvoller Miene.
    Statt einer Antwort betrachtete mich Gervaise zunächst in der besonders intensiven Art und Weise, die Lehrer manchmal an sich haben. Schließlich fragte er mich, ob ich nicht Kartographie bei Spielmeister Charnot hätte. Ich bejahte es.
    »Dann weißt du doch bereits einiges über die Länder des Wahren Spiels. Erinnerst du dich an das Gebiet des Drachen im Norden? Na also. Dort gibt es einen König und eine Königin, die sich entschieden hatten, ihre Kinder DRAUSSEN aufzuziehen. Sie wollten sie in ihrer Nähe haben und nicht in eine weit entfernte Schulstadt schicken, wo sie sich bei alten Spielmeistern langweilen würden. Die beiden dachten, die Kinder könnten die Regeln des Spiels durch Beobachtung lernen. Von den acht Söhnen, die diese Königin geboren hat, sind bereits sieben durch das Spiel ums Leben gekommen. Der achte schläft heute nacht im Havadhaus in der Kinderkrippe. Wenigstens diesen schickten sie zu uns.
    Es stimmt, daß es in der Schulstadt häufig langweilig ist, und für niemanden weniger als für die Lehrer! Doch hier ist es sicher, Peter. Hier kannst du in Rühe aufwachsen und lernen. Wenn du nicht mehr im Leben werden willst als Fuhrmann oder Bauer, kannst du gern nach DRAUSSEN gehen, um etwas derartiges zu sein. Nach fünfzehn Jahren in Mertynhaus hast du allerdings schon so viel gelernt, daß dich das Dasein als Bauer kaum zufriedenstellen würde, doch es fehlen dir noch gut zehn Jahre, um ungefährdet als etwas anderes existieren zu können.«
    Ich bemerkte in dem erwachsensten Tonfall, den ich zustande brachte, daß Sicherheit nicht alles auf der Welt sei.
    »Weil dem so ist«, erwiderte Gervaise, »wirst du mir jetzt helfen, das Modell auseinanderzunehmen.«
    Ich biß mir auf die Lippen. Eine Weigerung war unmöglich, doch die Modelle auseinanderzunehmen, ist weitaus gefährlicher, als sie zusammenzusetzen. Die meisten von uns haben von beiden Tätigkeiten Brandnarben zurückbehalten. Ich seufzte, konzentrierte mich, nahm wahllos eine geringere Figur aus der Schachtel und bewegte sie in das Zentrum der Domäne. Sie verschwand in einem Blitz aus weißem Feuer. Gervaise bewegte zuerst eine Figur, die ich nicht erkennen konnte, dann den König, der den Dämon freigab. Es gelang mir, einen Tragamor zu befreien, aber dann saß ich fest, denn mir fiel partout nicht mehr die Reihenfolge der Züge ein, mit denen ich den zweiten Tragamor hätte freibekommen können.
    Eines mußte man Gervaise lassen. Er rieb es mir nicht unter die Nase. Er warf mir nur einen bedeutsamen Blick zu: Er wußte, was ich dachte. Wenn ich nicht einmal imstande war, einen dämlichen Tragamor aus dem Modell zu befreien, würde ich im echten Spiel nicht sehr lange überleben. Geduldig zeigte er mir die nötigen Züge und gab mir dann einen nicht allzu sanften Klaps.
    »In ein paar Tagen beginnt das Festival, Peter. Jetzt, da du bereits fünfzehn Jahre alt bist, wirst du merken, daß ein Festival für euch Jungen sehr hilfreich gegen Langeweile ist. Hilfreich wären auch etwas eifrigere Studien. Geh jetzt zum
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