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Das Wahre Spiel 01 - Der Königszug

Das Wahre Spiel 01 - Der Königszug

Titel: Das Wahre Spiel 01 - Der Königszug
Autoren: Sheri S. Tepper
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plötzliche Erscheinen ist typisch für Königsspiele. Könige geben keine Signale. Sie lassen niemals vorzeitig etwas über ihre Absichten durchsickern. Eine ganze Reihe Angriffe oder Provokationen kann zuvor ohne Erwiderung bleiben, bis plötzlich ein Gebiet großer Macht und Absichten erscheint, eine schätzbare Domäne. Beachtet, wie sehr sich dieses Spiel zum Beispiel von einer Schlacht zwischen Waffenträgern unterscheidet, wo sich die Domäne vom ersten Zug eines Herolds oder Schildwächters an langsam entwickelt. Genauso plötzlich, wie die Domäne im Königsspiel erscheint, kann sie sich auch wieder schließen. Behaltet diese Regel, Buben! Je größer die Macht der Figur, desto rascher die Konsequenzen.« Er rüttelte mit seinem Stock, um die Dösenden zu wecken. »Bitte, denkt daran. Wenn ein mächtiger Spieler gegen den König antritt, entscheidet er sich vielleicht, eine reflektive beständige Figur wie Totem zu spielen, vielleicht sogar Herold. In diesem Falle …«
    Er geriet ins Dozieren, ließ sich über das Schätzen aus und langweilte alle damit fast zu Tode. Wir hatten uns mit Schätzen beschäftigt, seitdem wir aus der Kinderkrippe in dieses Klassenzimmer gekommen waren, und falls einer von uns bis jetzt nicht begriffen hatte, wie man eine Domäne richtig einschätzte, war sein Fall hoffnungslos. Ich hielt nach Yarrel Ausschau, fand ihn aber nicht. Statt dessen entdeckte ich den Magier, der, die Lippen zu einem geheimnisvollen Lächeln gekräuselt, hinten im Klassenraum an der Wand lehnte. ›Magier‹, erklärte ich mir selbst gewohnheitsmäßig, ›stilles Glas, beschwörend, doch durch die Beschwörung unberührt, ein Kanal, der Kraft bündelt, ein Gefäß, in das man Säure, Wein oder Feuer schütten oder aus dem sich Säure, Wein oder Feuer ergießt.‹ Mich fröstelte. Magier waren außerordentliche wichtige Figuren, Bewahrer der Macht anderer. Ich hatte noch nie von einem gehört, der ohne Begleitung unterwegs gewesen wäre. Es war eigenartig, ihn so allein an der Wand unseres Klassenzimmers lehnen zu sehen, und es erweckte in mir ein quälendes Gefühl der Neugierde. Ich entschloß mich, in die Küche hinunterzuschleichen, um Bruder Chance zu fragen. Er war für mich stets die beste Quelle für bestimmte Informationen, schon seit der Zeit, als ich vier Jahre alt gewesen war und entdeckt hatte, wo er die Kekse versteckte.
    »O ja«, stimmte er mir zu, während er, in der Hitze des Kochfeuers schwitzend, Fleischfetzen an den Spießhund verfütterte. Er stocherte mit einer langen Gabel am Braten der Lehrer herum. Der Duft war quälend. Mein Mund klappte auf wie der Schnabel eines jungen Vogels, und Bruder Chance steckte mir ein Stück Fleisch hinein, als wäre ich nur eine andere Art Spießhund. »Wirklich seltsam – ein Magier, der frei herumläuft, wenn man so sagen will. Nun ja, seit König Mertyn von DRAUSSEN zurückgekommen ist, um hier Spielmeister zu werden, hat Mertynhaus einen ausgesprochen guten Ruf erworben. Ein Magier könnte sich davon angezogen fühlen, könnte sich hierher binden wollen. Es gibt andererseits auch immer welche, die den Kampf mit jemandem suchen, der einen solch guten Ruf hat. Höchstwahrscheinlich bedeutet es aber nichts weiter, als daß das Festival vor der Tür steht. Nur noch einige Tage bis dahin, und die Stadt ist bereits jetzt voller Besucher. Wahrscheinlich wollen auch Magier sich manchmal vergnügen. Was geht dich das alles überhaupt an?«
    »Niemand erklärt uns jemals etwas richtig«, beschwerte ich mich. »Wir erfahren nie, was vorgeht.«
    »Warum solltet ihr auch? Eingebildeter Knirps! Geht es dich etwas an, was Magier tun oder lassen? Stell zu viele Fragen, und schwupps bist du ein Bauer, sag ich immer. Ich rate dir, halte dich zurück, bis du weißt, wer du bist. Aber du hast die Nase schon immer gern in Dinge gesteckt, die dich nichts angehen. Bevor du sprechen konntest, hast du bereits Fragen gestellt. Hör jetzt auf damit. Du bringst dich in größte Schwierigkeiten. Hier, nimm dieses Stück Fleisch und ein bißchen frischgebackenes Brot für den Saft und versteck dich im Garten, während du ißt. Du weißt, es ist verboten.«
    Natürlich wußte ich das.
    Fleisch war für Jungen verboten. Verboten war, sich in die Küche zu schleichen oder jemanden in der Schulstadt zum Wahren Spiel herauszufordern. Oder während eines Festivals.
    Verboten war dies und jenes und tausend andere Dinge ebenso. Aber dann, beim Festival, würde alles erlaubt sein.
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