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Der Schoepfer

Der Schoepfer

Titel: Der Schoepfer
Autoren: Gudrún Eva Mínervudóttir
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I
Freitag & Freitagabend
    Sveinn hängte die Letzte zum Trocknen auf, der Haken steckte in ihrem Nacken. Nach dem Aufsetzen der Köpfe würden die Hakenlöcher zum Glück von seidenweichem Haar verdeckt sein. Er befestigte einen ein Meter langen Stock zwischen ihren Fußknöcheln – es war wichtig, sie mit leicht gespreizten Beinen trocknen zu lassen, sonst bestand die Gefahr, dass sie schwer zu handhaben sein würden, wie verängstigte Jungfrauen. Und da hingen sie nun, vier Stück, Körpermodell Nummer vier. Sveinn streckte sich, stützte seine nasse, schmerzende Hand in die Hüfte und bewunderte ihre Farbe, honiggold, so als hätten sie sich einen ganzen Sommer lang bei leicht bedecktem Himmel nackt gesonnt. Die Tönung war perfekt, und er nahm sich vor, die exakten Farbanteile zu notieren, bevor sie in seiner Erinnerung verblassten.
    Er betrachtete sich nicht als Künstler, auch wenn ihm andere Menschen diese dubiose Bezeichnung manchmal aufzwängen wollten. Er war Handwerker, hochkompetent in seinem Fach, ohne damit anzugeben – denn Selbstgefälligkeit war schließlich nichts anderes als die verwöhnte Schwester des Stillstands. Seine Aufgabe bestand darin, so genau wie möglich zu arbeiten, die Illusion eines menschlichen Bewusstseins zu erzeugen –
von blonden, blauschwarzen oder kupferroten Locken geziert, aus blauen oder moosgrünen Augen strahlend, hinter halb geschlossenen, blassroten Lippen schlummernd – und seine hübschen Mädchen in die Welt zu entlassen, in der Hoffnung, dass sie ihren Besitzern Vergnügen bereiteten.
    Sveinn zog die Gummischürze aus und hängte sie an einen Nagel neben der Tür, wusch sich die Hände in der Kammer hinter dem Trockenraum, band die Uhr um, und als er sah, dass es fast neun war, spürte er, wie sein Magen vor Hunger rumorte. Sein Kiefer war verspannt und das Pochen in den Schläfen kaum auszuhalten. Der Schmerz in seinen brennenden Fingerknöcheln zog sich bis in die Handgelenke und Ellbogen. Es war immer das Gleiche – der Körper begann zu protestieren, sobald die Konzentration nachließ.
    Er lehnte sich an den Türrahmen und versuchte, sich zu erinnern, was im Kühlschrank lag. Er hätte auch in die Küche gehen, den Kühlschrank öffnen und eine Bestandsaufnahme vornehmen können, aber das war ihm im Moment zu viel – er musste sich ausruhen, bevor er irgendetwas tat, wusste aber andererseits, dass er sich nicht ausruhen konnte, bevor er etwas gegessen hatte.
    Was hatte er im Haus? Fast abgelaufenes Rinderhackfleisch, Zwiebeln, Kartoffeln, Fladenbrot, Butter. Was noch? Käse, Thunfisch in Öl, hauchdünne Scheiben geräuchertes Lamm in einer sperrigen Verpackung. Sveinn hatte keine Lust zu kochen – die Messer und Kochlöffel erschienen ihm unendlich schwer. Schwerer als der Stahl, den er für die Gelenke seiner Mädchen verwendete. Schwerer als Blei. Gottlob zerbrachen die Böden der Schubladen nicht unter ihrem Gewicht.
    Er konnte sich Fladenbrot mit Kaffee machen, aber es widersprach seinen Prinzipien, dreihundert Gramm Rinderhackfleisch
einfach so verkommen zu lassen. In der Nachbarschaft gab es ein paar Restaurants, doch wie so oft am Ende einer mehrtägigen Arbeitsphase wagte er es nicht, unter Menschen zu gehen.
    Nein, es gab nur eine Möglichkeit: sich vom Türrahmen zu lösen. Obwohl er ihn am liebsten mit in die Küche genommen und sich mit der Stirn an ihn gelehnt hätte, während das Hackfleisch und die Zwiebeln in der Pfanne brieten. Einen Fuß vor den anderen setzen, es war durchaus machbar. Ein Luxusproblem im Vergleich dazu, dass der Kühlschrank leer sein könnte und er in den Laden gehen müsste. Oder wenn er pleite wäre und sich Geld leihen müsste, um einkaufen gehen zu können, wie es manchmal vorgekommen war, als er noch studiert hatte, damals, bevor die Puppenproduktion richtig anlief.
    Vier mittelgroße Kartoffeln in einen Topf, ausreichend Wasser, um sie zu bedecken – er konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen, als er den Topf mit beiden Händen von der Spüle zum Herd trug. Dieses Arbeitspensum war bestimmt nicht gut für seinen Körper. Davon zeugte der Schmerz in seinen Gelenken, und der kleine Finger seiner rechten Hand war jetzt schon seit Anfang Januar wegen eines eingeklemmten Nervs im Arm taub.
    Zwei rote Zwiebeln, eine hatte schon ausgetrieben. Er nahm ein schweres Messer aus der zweitobersten Schublade, schob mit der Spitze die Küchengardinen beiseite und ließ die hellgelbe Maisonne herein. Um neun Uhr abends war
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