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Der Schoepfer

Der Schoepfer

Titel: Der Schoepfer
Autoren: Gudrún Eva Mínervudóttir
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verteilen. Salz. Himmlisch! Bei dem Geschmack von Kartoffeln mit Salz und Butter kamen ihm die Tränen.
    Als er das nächste Mal aufschaute, hatte sie ihr Glas leer getrunken und füllte es erneut. »Sieh mal einer an!«, dachte er, und jetzt schienen sich seine Nerven ein wenig beruhigt zu
haben, denn er freute sich aufrichtig darüber, dass eine fremde Frau mit ihm am Tisch saß, auch wenn sie beide nicht sehr gesprächig waren.
    »Ich wusste, dass ich die Schrauben nicht aufkriegen würde«, sagte sie, schaute ihm kurz in die Augen und richtete ihren Blick dann auf die Gabel in seiner Hand. »Deshalb habe ich gehofft, dass die Werkstatt noch hier wäre und die Jungs noch nicht alle Feierabend hätten.«
    Sie schüttelte den Kopf und fügte hinzu: »Wenn mein Vater eine Glühbirne ausgewechselt hat, hat er oft die Fassung und die Birne kaputt gemacht, und manchmal hat er den Türgriff aus der Tür gerissen. Ich glaube, das hat er extra gemacht, damit wir solche Geschichten über ihn erzählen.« Sie lachte, und er musste einfach mitlachen, vor allem jedoch, weil sie schon ganz rote Ohren vom Wein hatte.
    »Ist er schon tot?«, fragte er.
    »Wir haben ihn letzte Woche beerdigt. Herzinfarkt. Er ist zwar nicht mehr Auto gefahren, hat aber weiter Gewichte gestemmt, obwohl sein Arzt und ich ihn bekniet haben, es zu lassen.«
    Das unangenehme Gefühl, das Sveinn seit Tagen abzuwehren versuchte, legte sich mit voller Wucht auf ihn. Er musste einfach an den Mann denken, der sich letztens umgebracht hatte. Und als diese fremde Frau jetzt über den Tod ihres Vaters sprach, hatte er das Gefühl, dass überall um ihn herum Männer wie die Fliegen umfielen. Dass die Kralle des Todes auch mit ihm liebäugelte, ihm in die Rippen stach, um herauszufinden, ob er fett genug war, damit es sich lohnte, ihn zu schlachten. Eigentlich ziemlich irreal, denn diese beiden Männer waren alt genug, um seine Väter sein zu können.
    Der Selbstmörder hatte sich durch seinen Tod in Sveinns
Leben gedrängt. Sveinn hatte sich zwar geweigert, mit der Reporterin zu reden, aber sie hatte trotzdem neben ihrem Artikel ein Foto von ihm abgedruckt und damit durchblicken lassen, er sei indirekt für die Tragödie verantwortlich.
    Konnte man da nicht genauso gut denen die Schuld geben, die dem Mann einen Fernseher verkauft hatten? Wenn der Mann krank im Kopf war und Fantasie und Realität durcheinanderbrachte, konnte Sveinn nichts dafür, geschweige denn die Puppe, die ihm laut dem Artikel in der Klatschpresse in den Tod gefolgt war. Der Mann hatte ihr anscheinend den Kopf abgerissen, die Brüste abgeschnitten und die Haut zerfetzt, bevor er sich mit einem alten Jagdgewehr erschossen hatte.
    Sveinn hatte versucht, der Reporterin klarzumachen, wie geschmacklos es war, überhaupt darüber zu berichten. Dass der Selbstmord eines alten Mannes keine Nachricht sei, unabhängig davon, wie viele Sexspielzeuge er im Schrank hatte oder ob er sich entschieden hatte, vor dem Blick in den Gewehrlauf noch sein Eigentum zu zerstören. Aber sie hatte nicht auf ihn gehört, schien ganz besessen davon, sich in ihrem neuen Job zu beweisen, und war genauso fasziniert von seinen Mädchen wie alle anderen. Und auf dieselbe Weise, wie die meisten sich bemühten, ihr Interesse geflissentlich zu verbergen, rechtfertigte sie ihre Neugierde indem sie vergab, es ginge um etwas, das sie aus moralischer Journalistenpflicht ans Tageslicht zerren müsste.
    Sveinn musterte die Frau, die ihm am Tisch gegenüber saß, genauer. Sie sah so aus, wie die Frauen aus der Landnahmezeit oft gezeichnet wurden: große, runde Augen und große, runde Brüste, die fest an einem starken, soliden Körper ruhten, und Beine wie zwei Hochsitzpfosten. Er reckte sich ohne aufzustehen nach der zweiten Flasche und öffnete sie unauffällig. Er
wollte sie betrunken sehen. Wenn sie in diesem Zustand noch nach Hause fahren wollte, konnte man ihn nicht dafür verantwortlich machen.
    Obwohl, andererseits, das stimmte nicht. Er trug eine gewisse Verantwortung für sie, denn sie war aufgewühlt, wunderbar sanft aufgewühlt zwar, keine Spur von hysterisch, und saß bei ihm zu Hause auf einem Stuhl, und er war gewillt, sie abzufüllen, obwohl sie mit dem Auto unterwegs war und eben noch fast Tränen auf dem Autodach vergossen hätte. Er wollte mehr über den Todesfall und die Wunde wissen, die er aufgerissen hatte. Er wollte, dass sie etwas Hässliches sagte, sich lächerlich machte, sich von Sentimentalität entstellen
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