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Der Schoepfer

Der Schoepfer

Titel: Der Schoepfer
Autoren: Gudrún Eva Mínervudóttir
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– sie kamen einfach und kassierten ihn ab wie der Zehnte, schnitten ihn ab wie eine reife Weizenähre.
    Er blickte sich im Raum um und wusste, dass sein hiesiges Leben zu Ende war. Er hätte schon längst die Reißleine ziehen müssen. Warum sollte er jeden einzelnen Handgriff selber ausführen, wenn er von Anfang an alles auf Massenproduktion ausgerichtet hatte? Eine ungewöhnlich komplizierte Massenproduktion
zwar, aber dennoch sollte er jedes Detail betrachten wie ein Uhrmacher ein Uhrwerk. Sorgfältig die Zahnräder zusammenfügen, die Maschine dann in Gang setzen und nicht weiter darüber nachdenken. Sich lieber auf andere, noch schönere und kompliziertere Apparate konzentrieren, die in der Zukunft entstehen würden, mit seiner Imagination die Leere füllen und sie von den Bäumen pflücken. Das war es, was er am besten konnte: die Hand öffnen und die kühle, glatte Schwere von etwas spüren, das aus nichts entstanden war. Seine Aufgabe war, sich nach runden, duftenden Ideen zu recken und sie in die materielle Welt zu bringen. Er hätte nie in Monotonie verharren sollen, wie er es in den letzten Jahren getan hatte, während er sich gemüht hatte, der Nachfrage gerecht zu werden.
    Die ganze Zeit über hatte er sich glücklich gepriesen, nicht mehr an der Uni sein zu müssen, und wahrscheinlich wäre das im Vergleich zu dieser Höllenmühle das kleinere Übel gewesen. Aber jetzt sah er das alles in anderem Licht. Jetzt schien es vergleichbar damit, als sich der hölzerne Pinocchio aus einer toten Holzpuppe in einen lebendigen kleinen Jungen verwandelt hatte. Das war gewiss nicht die Art von Märchen, die seine Mutter ihm bei seiner Geburt gewünscht hatte. Es war auch nicht das Märchen, das er sich ausgesucht hätte, wenn er mit offenen Augen hinaus ins Leben gegangen wäre.
    Aber es reichte nicht zu wissen, was man nicht wollte – die Menschen mussten sich auch darüber klar werden, wohin ihre Sehnsüchte sie führten.
    Sveinn graute bei dem Gedanken an das Produkt, das seine internationalen Kollegen gerade entwickelten und für die perfekte Ware hielten: eine neue Art von Puppe mit Sensoren unter der Haut und kleinen Lautsprechern im Hals. Das waren keine schönen Handwerksstücke mehr, sondern protzige Peinlichkeiten.
Wie die kleinen Sprechblasen, die die eigentlich schönen Fotoserien in exklusiven Männermagazinen verschandelten: Ich heiße Jeezebel und liebe es, mit meinem Hund spazieren zu gehen und spätabends ein Schaumbad zu nehmen.
    Voilà . Die Schönheit lächerlich gemacht, das Täuschungsspiel so übertrieben, dass sich die Männer verarscht fühlen sollten, wenn sie auch nur einen Hauch von Intelligenz und Fantasie besaßen.
    Jetzt würde er endlich das in die Tat umsetzen, worüber er schon lange nachgedacht hatte, ohne es wirklich zu planen: eine richtige Firma gründen, eine Fabrik einrichten lassen, einen Geschäftsführer, einen Verkaufsleiter, eine Buchhalterin und eine Sekretärin einstellen. Nein, er musste sich nicht schinden, bis ihm die Knochen und die Augen wehtaten. Er würde dafür sorgen, dass seine Lehrlinge seinem Ruf alle Ehre machten und ihre Arbeit genauso hochwertig war, als hätte er ihre Hände persönlich geführt. Natürlich würde er ihnen einen ordentlichen Lohn zahlen, damit die Stimmung am Arbeitsplatz angenehm war und er eine gute Belegschaft halten konnte. Er war kein unmoralischer Vertreter des Kapitalismus.
    »Ich habe nämlich Ehrgefühl, auch wenn manche sich das nicht vorstellen können«, dachte er und freute sich, weil sein Herz ihm sagte, dass das stimmte. Die Selbstzweifel, die ihn in den letzten Tagen in Beschlag genommen hatten, waren zum Glück verschwunden.
    Er wandte sich wieder dem Computer zu, durchsuchte seinen Posteingang nach Mails von Athene, aber sie schien das Interesse verloren zu haben. Das überraschte ihn nicht. Das Böse war banal und gewöhnlich. Es erschien meistens in der Stumpfheit derer, die nicht nachdachten, und nur selten als eine Macht, die hemmungslos tobte, bis nur noch versengte Erde, Tod und
Zerstörung zurückblieben. Nein, das Böse schnüffelte mal hier und schnappte mal dort, bis das Interesse nachließ und der Köter seines Weges trottete.
    Sveinns Handy kündigte den Eingang einer SMS an. Hatte er sich zu früh gefreut?
    Verlorenes Schaf gefunden. Mit leichten Anzeichen von Dehydration und Herzrhythmusstörungen, aber lebendig.
    Wieder summte das Handy, und ein weiterer Umschlag erschien auf dem Display.
    Danke für
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