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Der Schoepfer

Der Schoepfer

Titel: Der Schoepfer
Autoren: Gudrún Eva Mínervudóttir
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wohin sie gegangen sein könnte. Die Stille strömte von allen Seiten auf sie ein, nur ab und zu von einem Auto durchbrochen, das langsam durch die Straße rollte. Es war schon kurz vor fünf. Lóa beschloss, Tómas auf der Polizeiwache, ihren Exmann und ihre Mutter anzurufen.
     
    Gegen Mittag hatte sie ein paar Stunden auf dem Sofa gelegen und war mehrmals eingenickt. Die Sonnenstrahlen, ausgedünnt und von den Rüschengardinen gefiltert, schienen auf ihre Augenlider und hinderten sie daran, fest einzuschlafen. Sie meinte, ständig irgendwo in der Wohnung das Telefon klingeln zu hören, was nicht sein konnte, denn es lag neben ihr auf dem
Tisch. Ihr war zu heiß unter der Decke, aber wenn sie sie wegschob, fror sie.
    Der gestrige Abend war wie eine endlose Gewaltszene im Fernsehen gewesen. Das schnelle Schlagen in ihrer Brust in keiner Verbindung mit der dahinkriechenden Zeit außerhalb ihres Körpers und alles völlig zusammenhanglos. Lóas Mutter war nach ihrem Anruf sofort gekommen und hatte sich gegen Morgen in einem der Zimmer schlafen gelegt. Sie hatten nicht viel miteinander geredet – beide auf das eventuelle Auftauchen Margréts konzentriert, und Lóa war zu nervös gewesen, um länger als ein paar Minuten bei einem Thema zu bleiben. Sie hatte versucht, sich auf ein Buch zu konzentrieren, aber kein Wort von dem verstanden, was sie gelesen hatte.
    Ihre Kleidung war feucht von Schweiß, ein bitterer Geruch lag in der Luft, und das Tageslicht setzte ihr an diesem vierten Tag nach Margréts Verschwinden zu. Ihr war kalt, ihr Rücken war steif, und ihre Hüfte schmerzte zunehmend.
    Sie stand auf, vorsichtig, so als fürchte sie, etwas zu zerbrechen, zog ihre Schuhe an und ging in die Küche. Das Essen, das ihre Mutter mitgebracht hatte, stand fast unberührt auf dem Tisch. Ein paar zusammengewürfelte Dinge aus ihrem Kühlschrank : Brot, Käse, eine Gurke, Orangensaft. Lóa trank den lauwarmen Saft direkt aus der Tüte und schaute zu ihrer Mutter ins Zimmer, die zusammengekauert ohne Bettbezug unter dem Federbett lag, ein gepunktetes Kissen unter dem Kopf.
    Es war merkwürdig, frische Luft zu atmen, als hätte sie Angst gehabt, in dieser verlassenen Wohnung lebendig begraben zu werden. Der Wind hatte sich etwas gelegt, und Lóa ließ den Wagen stehen und ging zu Fuß nach Hause. Das Grün sammelte noch Kraft, und die Pflanzen ließen sich vom Sturm nicht unterkriegen.

    Framnesvegur 19. Ein unbekanntes Haus. Sie fühlte sich dort plötzlich fremd, sogar der Geruch im Treppenhaus war ungewohnt.
    Björg und Ína saßen am Esstisch und spielten Mau Mau. Beide drehten sich Lóa zu und legten ihre Karten beiseite, aber Lóa ging geradewegs zum Bücherregal und ließ ihren Finger über die Buchrücken gleiten. Da war es: Hollywood Weddings . Ein Bildband mit einem goldenen Cover, das Björg ihr mal geschenkt hatte. Es präsentierte die Monroe, Audrey Hepburn und andere elegante Damen in weißen Kleidern am Arm gutaussehender Männer in schwarzen Anzügen. Lóa betrat die Küche, suchte für das Buch eine kleine, durchsichtige Plastiktüte heraus und postierte sich in der Tür zum Wohnzimmer, um sich zu verabschieden.
    »Fährst du schon wieder?«, fragte Björg und erhob sich halb.
    »Ich muss die Schlüssel zurückbringen«, entgegnete Lóa und hielt die heilige Therese hoch. »Meine Mutter ist noch in der Wohnung.«
    Das Letzte, was sie sah, war Ína, die ihr mit tödlich verwundetem Blick hinterherschaute.
     
    Lóa fuhr nicht wirklich Auto, sondern fühlte sich eher wie ein Fahrgast in ihrem eigenen Körper, der offenbar genau wusste, wo es hingehen sollte. Wie die Pferde, die früher von allein mit einem erfrorenen oder erschöpften Menschen auf dem Rücken den Weg nach Hause fanden.
    Sie ermahnte sich im Stillen, sich keine allzu großen Hoffnungen zu machen und sich um Himmels willen nicht einzubilden, ihre Wallfahrt mit dem abgegriffenen Bildband würde dazu führen, dass der liebe Gott Margrét rotwangig und gesund vom Himmel fallen ließ.

    Sie parkte den Wagen, knöpfte ihren Mantel zu und marschierte ins Foyer.
    Das laute Klappern aus dem Speisesaal ließ darauf schließen, dass die Mitarbeiter gerade nach dem Mittagessen die Tische abräumten. Lóa rannte die Treppe hinauf, eilte durch den Flur, klopfte an die Tür und wartete.
    Sie klopfte noch einmal, aber nichts geschah.
    Sie legte ihr Ohr an die Tür und lauschte.
    Nichts.
    Sie griff nach der Türklinke und trat ein. Im Zimmer herrschte Totenstille,
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