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Der Schoepfer

Der Schoepfer

Titel: Der Schoepfer
Autoren: Gudrún Eva Mínervudóttir
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deine Gesellschaft an diesen schrecklichen Tagen. Wäre wohl nicht so cool geblieben, wenn du nicht so ein Dummkopf wärst und noch dazu mit gebrochenem Arm.
    Er erschrak. Warum bedankte sich Lóa bei ihm? Wenn das sarkastisch gemeint war, dann hatte er mit dieser Art von Sarkasmus bisher noch keine Bekanntschaft gemacht. Sein Herz zog sich zusammen. Was sollte er antworten? Was meinte sie eigentlich?
    Er legte den Daumen auf die Tasten und schrieb: Du bist nicht cool geblieben, und mein Arm ist genauso wenig gebrochen wie deiner, aber danke gleichfalls.

Lóa saß mit ausgestreckten Beinen auf einer karierten Decke und sonnte ihre nackten Beine, die nach dem Winter ganz weiß waren, obwohl es schon Ende Juni war. Um sie herum überall gelber Sand. In der Nähe waren ein paar Quallen an Land gespült worden und lagen sterbend in der Sonne, weißtransparent und in ihrem Leiden schön.
    Ína schaufelte völlig versunken nassen Sand in einen Eimer, um daraus Baumaterial für eine absonderliche Pyramide herzustellen, die halb fertig war; eine Eimerfüllung nach der anderen wurde auf den Kopf gestellt und bildete eine Art Fundament, das an Säulenbasalt erinnerte, und ein zweites kleineres Fundament türmte sich auf das erste.
    Marta stand wie hypnotisiert am Ufer und sah zu, wie die Wellen sanft gegen ihre Stiefel schlugen. So stand sie schon ganz lange, ohne aufzuschauen, ohne den Mädchen, dem Himmel, dem Strand oder dem Meer Beachtung zu schenken. Jedes Mal, wenn sich eine Welle zurückzog, sog sie den Sand unter Martas Füßen weg und bedeckte sie wieder damit, so dass ihr das Wasser bereits fast bis zu den Knöcheln reichte.
    »Pass auf, dass du kein Wasser in die Stiefel bekommst!«, rief Lóa, mehr in der Hoffnung, Marta aus ihrer Trance zu reißen, als
aus Sorge, sie könnte nasse Füße bekommen. Marta drehte sich langsam um und lächelte wohlwollend, der Saum ihres blauen, kurzärmeligen Sommerkleids war schon schwarzblau vor Nässe. Dann nahm sie ihre vorherige Beschäftigung wieder auf und starrte nach unten, den Kopf zwischen den Schultern eingezogen und die Hände auf den Hüften zu winzigen Fäusten geballt.
    Lóa stand auf, klopfte sich den Sand von der kurzen Hose, kniff die Augen in der Sonne zusammen und beobachtete Margrét unauffällig. Sie telefonierte und malte mit dem Fuß riesige Buchstaben in den Sand; sie trug rote Turnschuhe, Jeans und einen langen, weißen Kapuzenpulli mit blauen Streifen. Sie hatte ihre Haare unter der Kapuze versteckt und erinnerte Lóa unangenehm an eine Nonne, an eine Anhängerin von Mutter Teresa in einer weißblauen Kutte. Margréts Psychologe hatte gesagt, ihre Krankheit sei in früheren Jahrhunderten eine Nonnenkrankheit gewesen. Die gläubigsten Nonnen wurden von Magersucht dahingerafft, in dem verzweifelten Bestreben, den anderen Nonnen und Gott, der zugleich ihr Vater und ihr Ehemann war, zu zeigen, wie emsig sie in ihrer Selbstablehnung waren.
    Margréts zerrissene Stimme wurde von einer Brise herangetragen.
    »Ja«, sagte sie. »Ich hab nur Ausgang. Ich muss gleich wieder in die Klapse.«
    Und sie lachte ein klirrendes Lachen.

Die isländische Originalausgabe erschien 2008 unter dem Titel
    »Skaparinn« bei Forlagid, Reykjavík.
    Diese Ausgabe wurde vom
    »Fund for the Translation of Icelandic Literature« gefördert.
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
    1. Auflage
    Deutsche Erstausgabe August 2011
    Copyright © 2008 by Gudrún Eva Mínervudóttir
    Published by agreement with Forlagid, www.forlagid.is
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2011 by btb Verlag
in der Verlagsgruppe Random House GmbH, München
Satz: Uhl + Massopust, Aalen
    eISBN 978-3-641-06981-0
     
     
     
    www.btb-verlag.de
    www.randomhouse.de
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