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Der Schoepfer

Der Schoepfer

Titel: Der Schoepfer
Autoren: Gudrún Eva Mínervudóttir
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Fensterbänke waren mit kleinen Figuren vollgestellt, und vor den Fenstern hingen lange, weiße Rüschengardinen.

    Lóa schloss leise die Wagentür, schlich die gemauerte Treppe hinauf, wählte einen beliebigen Schlüssel aus, konnte ihn aber nur halb ins Schlüsselloch stecken. Der nächste glitt widerstandslos hinein, und Lóa trat in den dunklen Vorraum. Von dort sah man ein Wohnzimmer mit Teppichboden und eine kleine Küche.
    Es roch nach Wolle und leicht nach Hammelfett wie auf einem alten Bauernhof.
    Die Stille im Wohnzimmer wirkte wegen einer großen Standuhr, die schweigend in der Ecke stand, noch intensiver. Das Sofa zierten braune, gelbe und orangene Streifen. Auf Couchtisch, Anrichte und Bücherregal lag dicker Staub, und hinter den halbtransparenten Vorhängen schimmerten die Figürchen: ein braunes Schneehuhn, eine liegende Katze, eine Afrikanerin mit einem Halsring, Kinder in Kleidchen und Matrosenanzügen, ein behäbiger Frosch, eine Babuschka, ein Mädchen mit einem Regenschirm, ein bärtiger Mann in gelber Joppe und Südwester.
    Lóa ging zum Bücherregal und ließ ihre Augen über die Buchrücken wandern: die gesammelten Werke von Thorbergur Thordarson und Halldór Laxness, unzählige Bände Biographien bekannter Bauern , noch mehr Bände Rettungs- und Havariegeschichte Islands , Kapitänsverzeichnis , Steuermannsverzeichnis . Im untersten Regal standen neuere Romanübersetzungen, und was war das? Lóa kniete sich hin und hielt die Luft an, während sie die Streifen im Staub in Augenschein nahm. Ihr Herz schlug bis in den Hals.
    Sie schaute unters Sofa und unter die Anrichte, sprang dann auf die Füße und ging in die Küche.
    Ein Stuhl war ein kleines Stück vom Küchentisch abgerückt worden, darauf lag ein dickes, besticktes Kissen. Violette Stiefmütterchen
auf rotem Grund. Die Tischplatte war staubbedeckt, bis auf die Stelle vor dem Stuhl.
    Lóa meinte, Margrét vor sich zu sehen, mit einem aufgeschlagenen Buch und aufgestützten Ellbogen, aus dem Fenster starrend und an ihrer Nagelhaut knabbernd. Mit Trauer im Blick und eingesunkenen Schultern.
    Auf der Arbeitsplatte stand ein einziges Glas, das sauber und trocken aussah, doch als Lóa es umdrehte, rann ein Wassertropfen daran herunter und blieb am Rand hängen. Sie öffnete alle Schränke, fand aber nur ein paar Reiskörner und eine angebrochene Packung Zuckerwürfel.
    Das Badezimmer war wie ausgestorben, keine Gegenstände auf dem Rand des Waschbeckens oder im Spiegelschrank, der Boden der Dusche war trocken. Aber über dem Klo stand das Fenster zum Garten offen. Davor hing eine ausgefranste Gardine, weiß mit hellroten Rosen. Befanden sich auf dem Klodeckel Fußabdrücke oder nur Gebrauchsspuren auf dem weißen, gesprungenen Kunststoff?
    Lóa nahm ein kleines Handtuch vom Haken und wischte damit über den Deckel, der weißer wurde.
    Als ein lautes Knallen ertönte, lief sie mit dem Handtuch in der Hand in den Flur, aber es war nur eine Autotür, die zugeschlagen wurde, und dann hörte sie sich entfernende Schritte.
    In der Wohnung gab es zwei Schlafzimmer, jedes mit einem schmalen Bett, Nachttisch, Lampe und Kleiderschrank ausgestattet. Die Gardinen sorgfältig zugezogen. Lóa betrat das erste und öffnete den Schrank. Die Fächer waren leer, aber auf der Seite mit der Stange, an der nackte Drahtbügel hingen, lagen Federbetten, Kissen und Decken aufgestapelt. Lóa schaute unters Bett, ging dann in das andere Zimmer und öffnete auch dort den Schrank. Dort fand sie die Federbetten und Decken
nicht sorgfältig zusammengefaltet, sondern auf einem Haufen zusammengeknüllt, der fast bis zur Kleiderstange reichte.
    Lóas Handy klingelte.
    »Wie geht es dir, Liebes? Wo bist du?«, fragte Björg.
    »In Martas Wohnung«, antwortete Lóa. »Ich habe rausgefunden, dass sie eine Wohnung hat, die den ganzen Winter leer stand.«
    »Echt?«
    Die fröhliche Hoffnung in Björgs Stimme beunruhigte Lóa. Sie wollte sich nicht zu früh freuen.
    »Ich bin mir sicher, dass Margrét hier war, aber sie ist unauffindbar. Ich will wissen, ob sie noch mal zurückkommt. Kann sein, dass ich bis heute Abend oder morgen früh warten muss.«
    »Mach dir keine Gedanken«, sagte Björg. »Ich bleibe hier, bis du kommst. Und Ína geht es gut. Sie malt und schaut fern.«
    Lóa setzte sich an den Küchentisch, auf den Stuhl am Fenster, den Platz, den Margrét sich, den Spuren nach zu schließen, ausgesucht hatte, und versuchte, wie ihre Tochter zu denken. Sich vorzustellen,
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