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Der Schoepfer

Der Schoepfer

Titel: Der Schoepfer
Autoren: Gudrún Eva Mínervudóttir
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waren kompliziert. Beweglich. Fachkundig hergestellt, wenn man das so sagen konnte, und er musste an diesen blinden Musiker denken – wie hieß er noch mal? Ray Charles, oder? –, der die Handgelenke von Frauen berührte, um herauszufinden, ob sie hübsch waren. Geniale Idee. Es wäre nicht gerade gentlemanlike gewesen, ihre Gesichter mit den Händen zu betatschen, bevor er sie überhaupt nach ihren Namen gefragt hatte. Was Ray wohl gedacht hätte, wenn er diese kräftigen Handgelenke hätte anfassen dürfen?
    Sie steckte die Hände in die Manteltaschen und schaute ihn an, mit einem Ausdruck, den er nicht deuten konnte.
    »Ist was?«, fragte sie.
    »Nein«, sagte er und blickte auf seine Füße, die scheinbar weit weg im Nebel lagen. Die Frau in dem weißen Mantel ermüdete ihn allein durch ihre Anwesenheit – er war nicht in der Verfassung, damit umzugehen. »Ich habe einen Hammer in der Abstellkammer«, sagte er. »Wenn ich was gegessen habe, helfe ich Ihnen. Ich habe seit heute Morgen oder gestern Abend nichts mehr gegessen.«
    Sie hob die Augenbrauen und sah sich um, so als würde sie nach anderen Lösungen Ausschau halten. Da bekam er wieder
einen klaren Kopf und fügte mit aller Freundlichkeit, die er besaß, von der er jedoch fürchtete, dass sie mehr wie Hohn oder unterdrückte Ungeduld klang, hinzu: »Wenn Sie so nett wären, solange bei mir in der Küche zu warten, verspreche ich Ihnen, dass Sie in eineinhalb Stunden wieder fahrbereit sind.«
    Sie folgte ihm zögernd, und er war ihr dankbar, dass sie ihn mit Zierereien, Ausflüchten und Entschuldigungen verschonte. So war es gut. Er wollte nicht, dass sie sofort wieder ging, denn obwohl er ruhebedürftig war, spürte er intensiv, dass er seit Tagen keinen Menschen mehr gesehen hatte. Er wollte in ein Gesicht schauen, das sich bewegte, selbst wenn sie nichts sagte oder nur Banalitäten von sich gab – er hatte ohnehin keine Kraft, zuzuhören oder etwas Vernünftiges zu entgegnen.
    Die Frau legte ihren Mantel über eine Stuhllehne und setzte sich schwerfällig auf den Platz daneben. Sie sah sich um, nicht besonders interessiert, sprach kaum und bewegte sich vorsichtig, bestimmt aus Rücksicht darauf, dass er müde und hungrig war. Er wollte keine Rücksichtnahme; bei dem Gedanken an verständnisvolle Frauen lief ihm ein Schauer über den Rücken. Millionen und Abermillionen verständnisvolle Frauen auf der ganzen Welt, die wenig dachten und noch weniger sagten.
    Die Fantasie ging mit ihm durch, und er wunderte sich darüber, denn das war ihm oder der Vorstellung, die er von sich hatte, gar nicht ähnlich. Man hätte meinen können, er hätte einen Funkempfänger im Kopf, und sexistische Typen würden seine Gedanken manipulieren. Er schaltete die Herdplatte wieder ein, hantierte mit ein paar Gewürzdöschen über der Pfanne herum und deckte den Tisch für zwei, ohne viele Worte darüber zu verlieren, dass er sie einladen würde, mit ihm zu essen. Er glaubte nicht an wortreiche Erklärungen, daraus wurde immer nur dummes Geschwätz, und er glaubte auch nicht daran,
Menschen dabei helfen zu können, Entscheidungen zu treffen. Wenn diese Person zu schüchtern war, um sich zu bedienen, oder zu höflich, um das Essen einfach unberührt stehen zu lassen, dann war es eben so.
    Das Hackfleisch war durch, aber die Zwiebeln noch halb roh. Das war nicht weiter schlimm. Sveinn öffnete den Gläserschrank und beschloss nach kurzem Überlegen, die Weingläser stehen zu lassen und stattdessen kleine Wassergläser für den Wein zu nehmen. Sonst könnte sie denken, er hätte unpraktische, romantische Vorstellungen von einer Mahlzeit. Er hob eine halbvolle Rotweinflasche hoch und sagte: »Ich hoffe, Sie finden das nicht unpassend, aber zu Fleisch trinke ich immer Wein.«
    Sie schüttelte den Kopf, und in ihren Augen lag ein vager Glanz. Er konnte sich beruhigt entspannen – offenbar war sie keine von denen, die jede Kleinigkeit symbolisch auslegten. Sie schien noch nicht mal richtig mitzukriegen, was um sie herum geschah.
    Was sie wohl dachte? Er wusste genau, dass er betrunken wirkte, wenn er müde war. Hatte sie keine Skrupel, einem Säufer in sein Haus zu folgen?
    Sie schenkte Wein in beide Gläser und nahm sich etwas aus der Pfanne. Das war das Letzte, was er von ihr wahrnahm, dann vergaß er fast, dass sie da war, denn seine gesamte Konzentration richtete sich darauf, die Kartoffeln in zwei Hälften zu schneiden und auf den glatten Seiten Butterstückchen zu
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