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Das Vorzelt zur Hölle: Wie ich die Familienurlaube meiner Kindheit überlebte

Das Vorzelt zur Hölle: Wie ich die Familienurlaube meiner Kindheit überlebte

Titel: Das Vorzelt zur Hölle: Wie ich die Familienurlaube meiner Kindheit überlebte
Autoren: Tommy Krappweis
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musste ich an allen Fronten kämpfen, um irgendwie durchzudringen. Bei meinen Eltern hätte es nun mal nicht funktioniert, beim Tischgespräch gelegentlich den einen oder anderen Missstand aufzuzeigen und dann gemeinsam einen Weg aus der Krise zu finden. Mein Vater hätte das innerhalb weniger Sekunden abgebügelt mit: »Ach Schmarrn, des probier ma jetz morgn einfach amal, und dann weast du scho sehn, wia schee dass des is!«
    Nein, hier half nur die totale, völlige Verweigerung immer und überall, um letztlich allen so sehr damit auf den Wecker zu fallen, dass sie mich irgendwann in Ruhe lassen würden. Ja, das war ein harter Weg, aber ich war wild entschlossen, ihn zu beschreiten. Doch es sollten noch viele Jahre vergehen, bis ich endlich Herr meiner Freizeit wurde.

    Bis dahin verbrachte ich sie campierend.

Packwahn
    M eine früheste Kindheitserinnerung ist grün. Schuld daran ist ein grüner VW-Bus mit geteilter Scheibe und doppelter Klapptüre an der Seite. Man würde es heute wohl »Hippiebus« nennen und irgendwie cool finden.

    Damals in den Siebzigern war das genauso normal wie Hosen mit Schlag von der Größe eines Tennisschlägers.
    Mein Vater Werner Krappweis hatte die Inneneinrichtung des Busses selbst gebaut. Überhaupt hat mein Vater vieles selbst gebaut, die Ewigkeit hierbei immer fest im Blick.
    So steht bis heute die wuchtige Garderobe aus Zehner-Balken im Eingangsbereich der Wohnung, und auch die Dachschräge aus gebeizten Nut-und-Feder-Brettern ziert immer noch das Wohnzimmer. Bis heute wartet mein Vater bei jedem neuen Besucher mit breitem Grinsen auf die Frage nach der bautechnischen Motivation einer Dachschräge im vierten Stock eines achtstöckigen Hochhauses in München-Neuperlach. Die Antwort lautet: Stauraum. Mein Vater liebt kaum etwas so sehr wie Stauraum. Aber davon später mehr.

    Die Einrichtung des Hippiebusses hielt also länger als das Auto drumrum: Irgendwann fuhr der grüne Bus nämlich nur noch dreiundsiebzig Stundenkilometer, weil er zu ebenso viel Prozent aus eingeschweißten Eisenplatten bestand, die den Abstand zwischen den Rosträndern irgendwie überbrücken sollten. Als es schließlich keine Stellen mehr gab, an denen man etwas anschweißen konnte, war es dann doch Zeit für ein neueres Modell, das zum Zeitpunkt des Gebrauchtkaufs allerdings auch schon zu den betagteren Versionen zählte.
    Da mein Vater als Automechanikermeister bei der Post arbeitete, entschloss er sich zu der Farbe Gelb – vermutlich weil er preisgünstigen Zugang zu entsprechenden Spraydosen hatte und schon voraussah, dass demnächst die erste von hundert Metallplatten farblich angeglichen werden musste. Die Inneneinrichtung jedoch wurde in weiten Teilen aus dem Hippiebus übernommen. Kein Wunder, hatte sie doch nicht nur unzählige Reisen an den Rand der zivilisierten Welt überstanden, sondern auch Wassereinbrüche, Aufschläge mit körperlichem Vollkontakt und die ein oder andere Gasexplosion.

    Doch zurück zu dem grünen Ur-Bus und meiner ersten Kindheitserinnerung: Ich sehe alles aus der Perspektive eines mutmaßlichen Kindersitzes. Neben mir sitzt meine Oma Maria Krappweis zusammen mit anderen alten Damen und Herren ihres Wanderkreises dicht gedrängt auf der selbstgezimmerten Eckbank. Gerade steigt ein weiterer alter Herr – vermutlich mein Opa Hänsel – durch die Klappen, und man schickt sich allgemein an, noch mehr zusammenzurücken.
    Mein Opa jedoch winkt störrisch ab, krallt sich stattdessen am Griff des Kühlschranks fest und sagt, dass er stehen wird. Sein Sohn – also mein Vater – versucht, ihn zu überzeugen, sich doch besser zu setzen, aber er dringt ebenso wenig durch wie die anderen Stimmen im Auto. Also fährt mein Vater schließlich los, und das erstaunlich ruckartig. Ich will ihm hier keine Absicht unterstellen, tue es aber doch.
    Sofort klappt die Tür des Kühlschranks auf, und Opa Hänsel verliert den Griff. Nein, das stimmt nicht. Er behält den Griff, nur die Türe verliert ihn. Dafür plumpst Opa Hänsel an mir vorbei auf irgendeine ältere Dame, die so erschrocken aufquietscht, wie das nur ältere Damen können. Danach Aufruhr, und die Erinnerung verblasst.

    Ich weiß, dass das eine seltsame Kindheitserinnerung ist, aber diese Szene ist unauslöschlich in mein Hirn graviert. Sie illustriert zudem mehrere Dinge, die mich entscheidend prägen sollten:
     
der Starrsinn Erwachsener im Allgemeinen und meiner Familie im Besonderen
die rustikale Art und Weise, mit
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