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Das Vorzelt zur Hölle: Wie ich die Familienurlaube meiner Kindheit überlebte

Das Vorzelt zur Hölle: Wie ich die Familienurlaube meiner Kindheit überlebte

Titel: Das Vorzelt zur Hölle: Wie ich die Familienurlaube meiner Kindheit überlebte
Autoren: Tommy Krappweis
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entsprechenden Urlaubsland (ob dieser Geheimtipp dann wirklich so geheim ist, wenn er im Netz ergoogelbar ist, sei dahingestellt). Die versteckten Orte, die mein Vater suchte, zeichneten sich in jedem Fall dadurch aus, dass man sie nicht so leicht fand. Aber wir hatten ja die ganzen Ferien lang Zeit, und so konnte die Suche nach dem perfekten Standplatz schon einmal ein paar Tage in Anspruch nehmen.
    Man konnte schließlich einfach so irgendwo haltmachen, dort einfach so übernachten und sich am nächsten Tag einfach so entscheiden, einfach so weiterzufahren! Hurra, diese Freiheit!
    Frei waren aber eigentlich nur meine Eltern, ich war gefangen in ihrem Wahn, alles toll zu finden, was ihr Sohn scheiße fand.
    So wurde es also irgendwann dunkel, und wir holperten auf den nächsten Campingplatz oder blieben einfach stehen, wo wir waren.

    Bis heute reagiert mein Vater auf nächtliche Geräusche recht vehement. Er steht kerzengerade im Bett und macht mit der rechten Hand eine blitzschnelle Bewegung. Das mag vielleicht daran liegen, dass er zu viele Nächte auf irgendwelchen Parkbuchten im Niemandsland verbracht hat, wo das Einzige, was zwischen dem Verlust seiner Familie und aller mitgeführten Güter stand, er selbst und ein Finnmesser war.
    Für Nichtcamper: Ein Finnmesser ist kein Gerät, um Skandinavier orten und weiträumig umgehen zu können, obwohl das auf Campingplätzen manchmal sogar Sinn gemacht hätte, wenn man nachts gerne durchschläft.
    Nein, ein Finnmesser ist ein dünnes und so dermaßen scharfes Messer, dass man damit einen Baum von seinem Schatten trennen könnte. Ich sage »könnte«, denn da, wo wir campierten, war meistens kein Baum und somit leider auch kein Schatten, aber dazu später mehr.
    Mein Vater demonstrierte die Schärfe dieser Waffe gerne dadurch, dass er ganz leicht mit der Klinge über seinen Daumennagel glitt, worauf sich dann eine hauchdünne Schicht des Nagels über die Schnittfläche kräuselte. Außerdem zerschnitt das Messer beim Wegstecken immer wieder die dafür passende Lederscheide aus dickem Schweinsleder. Hilfe.
    Mit diesem Messer in der Hand wachte mein Vater auf der businternen Bettstatt über uns, bereit, jedem Straßenräuber die Finger zu filettieren – oder welches Körperteil auch immer dieser zuerst wagte in den Bus zu schieben. Zum Glück für die weltweite Diebesgilde kam es nie dazu.
    Das konnte aber auch daran liegen, dass unser Bus nicht gerade so aussah, als würde jemand damit einen sündhaft teuren Fotoapparat oder jede Menge Deutschmark durch die Fremde zuckeln. Ganz im Gegenteil. Wir wirkten vermutlich eher wie eine kleine Hippiekommune auf dem Weg in den Ashram. Und falls irgendein Dieb doch einen Blick ins Innere wagte, sah er dort einen Mann mit wildem Bart, der ein Messer umklammert hielt und ihn mit einem halboffenen Auge auffordernd anstarrte. Mein Vater ist der einzige Mensch, den ich kenne, der so schlafen kann. Der Anblick ist höchst verstörend, aber offensichtlich recht wirkungsvoll.

    Nachdem meine Mutter und ich lange genug nach Moskitos gehauen hatten, war es auch schon wieder Zeit, weiterzufahren. Wobei ich noch erwähnen sollte, dass mein Vater generell sehr ungern Pausen einlegte. Ihm war es immer wichtig, bei der Rückkehr sagen zu können: »Und dann binni de achzgdausnd Kilomedda in drei Dog owegrittn!«, oder so was in der Art. Und am Ende dieser achzgdausnd Kilomedda war dann immer »a ddrauumhafter Platz«, und an dem blieben wir die ganzen Ferien über, weil »wos Scheenas gibt’s ja gar ned«. Ansichtssache, würde ich da sagen, aber was hilft’s.

    Wenn ich bisher wenig spezifisch bin, was die jeweiligen Urlaubsländer angeht, dann liegt das daran, dass das für mich anfangs alles das Gleiche war, nämlich »nicht zu Hause«. Ich komme aber später noch auf die einzelnen Länder und ihre Klischees zu sprechen – wär ja noch schöner. Auf jeden Fall fand mein Vater in jedem dieser Länder seinen »ddrauuumhaften Platz«.
    Er hatte tatsächlich ein untrügliches Gespür dafür, an welcher Steilküste sich demnächst eine düstere Bucht öffnen würde oder wann man plötzlich scharf rechts in einen kleinen Wirtschaftsweg einbiegen sollte, um die kleine Felsnase zu erreichen, die nicht bei Flut vom Meer verschluckt wurde.

    Ich erinnere mich da an einen dieser Momente; ich glaube, es war auf der Insel Korsika. Eine kleine Straße führte ziemlich scharf rechts von der Landstraße direkt hinunter ans Meer. Das konnte man auch
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