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Das Vorzelt zur Hölle: Wie ich die Familienurlaube meiner Kindheit überlebte

Das Vorzelt zur Hölle: Wie ich die Familienurlaube meiner Kindheit überlebte

Titel: Das Vorzelt zur Hölle: Wie ich die Familienurlaube meiner Kindheit überlebte
Autoren: Tommy Krappweis
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wieder ein und fuhren dann auch tatsächlich weiter.
    Mein Vater machte bereits einen etwas hohlwangigen Eindruck, als wir schließlich mitten in der Nacht ein Schild mit dem Campingzeichen entdeckten. Wir stellten uns auf den nächstbesten Platz, und kaum waren die schaumstoffbezogenen Bretter bereitet, die mein Vater stoisch mit dem Begriff »Bett« bezeichnete, waren wir auch schon kollektiv eingeschlafen.
    Es weckte uns der Schrei von Mami. Sie hatte sich irgendwie in die hinterletzte Ecke des Busses installiert und hielt den Blick starr auf irgendetwas gerichtet, das sich im diagonal gegenüberliegenden Eck befand. Mein Vater hatte bereits das Finnmesser gezückt, startete mit der anderen Hand blitzschnell die Gaskartuschenlampe und hielt sie in die Höhe. In der Ecke war nichts.
    »Da war die Spinne! Die Spinne war da!«, wiederholte meine Mutter ein paar Mal und zeigte immer wieder in die Ecke. »Da! Da war sie! Die Spinne! Da! Mach die Tür auf!«
    Mein Vater seufzte sehr, sehr tief empfunden und stieß dann etwas arg wuchtig die Klapptüren auf. Meine Mutter und ich staksten mit unseren Schlafsäcken hinaus in die angenehm kühle Nacht, wie sie so typisch ist für Egal-es-ist-überall-heiß-und-scheiße-Land. Dann richteten wir unsere stummen Blicke auf Papi. Der warf uns einen Blick zu, aus dem uns die Worte »Tut«, »mir«, »das«, »nicht« und »an« entgegensprangen. Wir reagierten nicht, warfen uns nur die Schlafsäcke majestätisch über die Schultern und schauten zurück, bemüht, nicht zu blinzeln. Papi verstand.

    Eine Stunde später hatte mein Vater im Schein der Gaslampe wieder alles ausgeräumt, was auch nur ansatzweise als Versteck für eine Spinne hätte dienen können. Dann ließ er sich erschöpft auf der Schwelle der Klapptür nieder und sah uns aus toten Augen an. Meine Mutter und ich hatten die ganze Zeit die Tür im Blick behalten, und keiner von uns hatte eine Spinne auf der Flucht bemerkt. Das konnte nur zwei Dinge bedeuten: Entweder war die Spinne noch im Auto, oder Mami hatte sich alles nur eingebildet. Letzteres erschien uns immer wahrscheinlicher, schließlich hatte die Spinne ja einen bleibenden Eindruck hinterlassen, und es war nur verständlich, wenn sie davon jetzt entsprechend realistisch geträumt hätte. Also nickten wir Papi gnädig zu und gestatteten ihm so, wieder die Bettstatt zu richten. Es ist der Sturheit meines Vaters zuzuschreiben, dass er nun aber extra sorgsam wieder alles einräumte und uns so lange warten ließ, bis wir vor Müdigkeit kaum mehr stehen konnten. Vielleicht rechnete er sich damit aus, dass wir so auch eine ganze Spinneninvasion verschlafen würden. Vielleicht war es aber auch einfach nur blindwütige Rache, keine Ahnung. Ich könnte beides gut nachvollziehen und mache ihm da heute auch keine Vorwürfe mehr. Allerdings habe ich auch genug Auswahl an anderen Dingen, wo es sich mehr lohnt.
    Nach einem ohnmachtsartigen Schlaf wachten wir vom Schall einer Glocke auf. Es ist typisch für Egal-es-ist-überall-heiß-und-scheiße-Land, dass in der Früh um 7 Uhr ein kleines dreirädriges Gefährt auf den Platz tuckert und jemand von einer rostigen Pritsche staubiges Weißbrot verkauft, das im Wesentlichen aus Rand und Luft besteht. Erstaunlicherweise schmeckt die Luft in dem Brot nach Benzin.

    Wir frühstückten Luftbrot mit Butter, Erdbeergelee und der Discounter-Version von Nutella, mit dieser kleinen, idiotischen Figur, unter ihrem saublöden Haselnusshut. Ich hasse dich bis heute, kleine idiotische Figur mit deinem saublöden Haselnusshut. Ich hasse dich dafür, dass es dich gibt – denn wegen dir hatte mein Vater eine Wahl beim Kauf des Schokoaufstrichs.

    Die nächtliche Spinnenerscheinung war ebenso verdaut wie das Frühstück, und mein Vater schob es jetzt endgültig auf einen Traum. Mami versuchte noch ein paar Argumente dagegen anzubringen, scheiterte aber am Wortreichtum und dem immer beißender werdenden Spott meines Vaters. Seine Pointen sind wirklich erstaunlich oft sehr lustig, aber es gibt da diesen typischen Mechanismus, der vielen Witzemachern einig ist: Wenn aus welchem Grund auch immer das Gegenüber irgendwann nicht mehr lachen kann und beleidigt ist, wird nicht aufgehört, sondern erst recht weitergemacht, um so möglichst eindringlich zu bestätigen, dass es doch alles nur Spaß ist. Dabei wird es zwar für das Gegenüber nicht lustiger, gleichzeitig werden aber die Gags immer kreativer, denn die offensichtlichen Pointen sind ja
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