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Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution

Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution

Titel: Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution
Autoren: Leo Trotzki
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Kapitel 1: "Julitage": Vorbereitung und Beginn
    Im Jahre 1915 kostete Rußland der Krieg zehn Milliarden Rubel, im Jahre 1916 neunzehn Miliarden, im ersten Halbjahr 1917 bereits zehneinhalb Milliarden. Die Staatsschuld wäre zu Beginn des Jahres 1918 auf sechzig Mil1iarden ai-gewachsen, das heißt fast dem gesamten Nationalvermögen gleichgekommen, das man auf siebzig Milliarden schätzte. Das Zentral-Exekutivkomitee entwarf einen Aufruf zur Kriegsanleihe unter dem sirupsüßen Namen "Freiheitsanleihe", während die Regierung zu der simplen Schlußfolgerung gelangte, sie würde ohne eine neue grandiose Außenanleihe nicht nur die ausländischen Bestellungen nicht bezahlen können, sondern auch außerstande wäre, den inneren Verpflichtungen nachzukommen. Das Passivum der Handelsbilanz wuchs dauernd. Die Entente ging offenbar daran, den Rubel endgültig seinem eigenen Schicksal zu überlassen. Am gleichen Tage, als der Aufruf zur Freiheitsanleihe die erste Seite des Sowjetorgans Iswestja füllte, berichtete der Regierungsanzeiger über einen scharfen Kurssturz des Rubels. Die Druckpresse konnte nicht mehr Schritt halten mit dem Inflationstempo. Von den alten soliden Geldzeichen, auf denen noch der Abglanz ihrer einstigen Kaufkraft weilte, schickte man sich an, zu den fuchsroten Flaschenetiketten überzugehen, die in der Umgangssprache bald den Namen "Kerenski" erhielten. Bourgeois wie Arbeiter legten, jeder auf seine Art, in diesen Namen eine Note des Abscheus hinein.
    In Worten akzeptierte die Regierung das Programm der staatlichen Wirtschaftsregulierung und schuf sogar zu diesem Zweck Ende Juni schwerfällige Verwaltungsorgane. Doch Wort und Tat des Februarregimes standen, wie Geist und Fleisch des frommen Christen, in ständigem Kampfe miteinander. Die entsprechend zusammengesetzten Regulierungsorgane waren mehr besorgt um den Schutz der Unternehmer vor den Launen der schwankenden und wankenden Staatsmacht als um die Zähmung privater Interessen. Das administrative und technische Industriepersonal fiel Schicht um Schicht auseinander; die Spitzen, erschreckt über die Gleichmachungstendenzen der Arbeiter, gingen entschlossen auf die Seite der Unternehmer über. Die Arbeiter standen den Kriegslieferungen, mit denen die wackligen Betriebe noch für ein bis zwei Jahre im voraus gedeckt waren, voller Widerwillen gegenüber. Doch auch die Unternehmer verloren den Geschmack an der Produktion, die mehr Sorgen als Gewinne versprach. Vorsätzliche Betriebseinstellungen von oben, nahmen systematischen Charakter an. Die Eisenindustrie hatte sich um vierzig Prozent verringert, die Textilindustrie um zwanzig Prozent. An allem Lebensnotwendigem herrschte Mangel. Die Preise stiegen zusammen mit Inflation und Wirtschaftsverfall. Die Arbeiter kämpften um die Kontrolle über den vor ihnen verborgenen administrativkommerziellen Mechanismus, von dem ihr Schicksal abhing. Der Arbeitsminister Skobeljew predigte den Arbeitern in wortreichen Manifesten die Unzulässigkeit einer Einmischung in die Betriebsverwaltung. Am 24. Juni berichteten die Iswestja, es sei abermals die Schließung einer Reihe von Betrieben geplant. Gleiche Nachrichten kamen aus der Provinz. Der Eisenbahntransport war noch schwerer getroffen als die Industrie. Die Hälfte der Lokomotiven erforderte kapitale Reparaturen, ein großer Teil des rollenden Materials befand sich an der Front, es fehlte an Brennstoff. Das Verkehrsministerium kam aus dem Kriegszustande mit den Eisenbahnarbeitern und Angestellten nicht heraus. Die Lebensmittelversorgung verschlimmerte sich dauernd. In Petrograd gab es Brotvorräte nur noch für zehn bis fünfzehn Tage, in anderen Zentren stand es nicht viel besser. Bei der halben Paralyse des rollenden Materials und dem drohenden Eisenbahnstreik bedeutete dies ständig Hungergefahr. In der Perspektive öffnete sich kein Lichtblick. Nicht dies hatten die Arbeiter von der Revolution erwartet.
    Wenn möglich noch schlimmer stand es in der Sphäre der Politik. Unentschlossenheit ist der schwierigste Zustand im Leben von Regierungen, Nationen, Klassen, wie auch des einzelnen Menschen. Die Revolution ist die erbarmungsloseste von allen Lösungsarten historischer Fragen. Ausweichen ist in der Revolution die verheerendste aller denkbaren Politik. Die Partei der Revolution darf nicht schwanken, ebensowenig wie der Chirurg, der das Messer in den kranken Körper eingeführt hat. Indes war das aus der Februarumwälzung entstandene Doppelregime organisierte
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