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Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution

Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution

Titel: Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution
Autoren: Leo Trotzki
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Massen in eigenmächtigen Aktionen, Partisanenerhebungen, gelegentlichen Expropriationen. Arbeiter, Soldaten, Bauern versuchten stückweise zu lösen, was zu lösen die von ihnen selbst geschaffene Macht sich weigerte. Unentschlossenheit der Führung erschöpft die Massen am stärksten. Fruchtloses Warten bewegt sie zu immer eindringlicheren Schlägen gegen die Pforte, die man vor ihnen nicht öffnen will, oder zu direkten Verzweiflungsausbrüchen. Bereits in den Tagen des Sowjetkongresses, als die Provinzler nur mit Mühe die über Petrograd erhobene Hand ihrer Führer zurückhalten konnten, hatten die Arbeiter und Soldaten hinreichende Gelegenheit gehabt, sich über die Gefühle und Absichten der Sowjetspitzen ihnen gegenüber zu unterrichten. Nach Kerenski wurde Zeretelli nicht nur eine fremde, sondern auch verhaßte Gestalt für die Mehrheit der Petrograder Arbeiter und Soldaten. An der Peripherie der Revolution wuchs der Einfluß der Anarchisten, die im selbstherrlichen Revolutionskomitee in der Villa Durnowo die Hauptrolle spielten. Aber auch diszipliniertere Arbeiterschichten, sogar weite Kreise der bolschewistischen Partei begannen die Geduld zu verlieren oder jenen Gehör zu schenken, die sie schon verloren hatten. Die Demonstration vom 18. Juni enthüllte allen, daß die Regierung keine Stütze besaß. "Was schauen sie dort oben zu?" fragten Soldaten und Arbeiter und meinten jetzt nicht nur die Versöhnler-Führer, sondern auch die leitenden Institutionen der Bolschewiki.
    Der Kampf um den Arbeitslohn bei den Inflationspreisen entnervte und erschöpfte die Arbeiter. Besonders scharf spitzte sich diese Frage während des Juni im Putilow-Gigant zu, wo 36.000 Menschen arbeiteten. Am 21. Juni entbrannte in einigen Werkstätten der Fabrik ein Streik. Die Unfruchtbarkeit solcher vereinzelter Ausbrüche war der Partei nur zu klar. Am nächsten Tage erklärte die von den Bolschewiki geleitete Versammlung, in der die wichtigsten Arbeiterorganisationen und siebzig Betriebe vertreten waren, "die Sache der Putilow-Arbeiter als Angelegenheit des gesamten Petrograder Proletariats" und forderte die Putilower auf, "ihre gerechte Empörung zurückzuhalten". Der Streik wurde vertagt. Doch die nächsten zwölf Tage brachten keinerlei Veränderungen. Die Massen in den Fabriken waren in tiefer Gärung und suchten einen Ausweg. Jedes Unternehmen hatte seinen Konflikt, und alle diese Konflikte führten nach oben, zur Regierung. Ein Memorandum des Gewerkschaftsverbandes der Lokomotivbrigaden an den Verkehrsminister lautete: "Wir erklären zum letztenmal: die Geduld hat eine Grenze. Weiter in solcher Lage zu leben, fehlt uns die Kraft ... " Das war eine Beschwerde nicht nur über Not und Hunger, sondern auch über Zweideutigkeit, Charakterlosigkeit, Betrug. Die Eingabe protestierte besonders zornig gegen "die an uns gerichteten endlosen Ermahnungen zu Bürge r-pflicht und Enthaltsamkeit bei hungrigem Magen."
    Die Machtübergabe im März an die Provisorische Regierung durch das Exekutivkomitee war unter der Bedingung erfolgt, daß die revolutionären Truppen nicht aus der Hauptstadt entfernt würden. Aber jene Tage lagen weit zurück. Die Garnison bewegte sich nach links, die regierenden Sowjetkreise nach rechts. Der Kampf gegen die Garnison verschwand nicht von der Tagesordnung. Wenn auch nicht geschlossene Truppenteile aus der Hauptstadt hinausgeführt wurden, so schwächte man die revolutionäreren Teile unter dem Vorwand strategischer Notwendigkeit systematisch durch Herauspumpen von Marschkompanien. Gerüchte über Auflösung immer neuer und neuer Truppenteile an der Front wegen Ungehorsam und Weigerung, Kampfbefehle auszuführen, drangen ununterbrochen in die Hauptstadt. Zwei sibirische Divisionen - ist es lange her, daß die sibirischen Schützen als die sichersten galten? - wurden unter Anwendung von Waffengewalt aufgelöst. Wegen Massenauflehnung gegen Kampfbefehle wurden allein in der der Hauptstadt nächstgelegenen 5. Armee siebenundachtzig Offiziere und 12.725 Soldaten zur Verantwortung gezogen. Die Pe-trograder Garnison, Akkumulator der Unzufriedenheit von Front, Dorf, Arbeitervierteln und Kasernen, war dauernd in Wallung. Bärtige Vierziger forderten mit hysterischer Beharrlichkeit Entlassung nach Hause, zu den Feldarbeiten. Die Regimenter, die auf der Wyborger Seite lagen: das I. Maschinengewehr-, das I. Grenadier-, das Moskauer, das 180. Infanterieregiment und andere wurden dauernd von den heißen Sprudeln der
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