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Das Vorzelt zur Hölle: Wie ich die Familienurlaube meiner Kindheit überlebte

Das Vorzelt zur Hölle: Wie ich die Familienurlaube meiner Kindheit überlebte

Titel: Das Vorzelt zur Hölle: Wie ich die Familienurlaube meiner Kindheit überlebte
Autoren: Tommy Krappweis
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schon seit einer halben Stunde aufgebraucht. All das ist für einen Dritten durchaus unterhaltsam, solange er sich still genug verhält und an den richtigen Stellen lacht. Meine Mutter allerdings wurde dann doch ganz schön sauer, und gerade als es richtig lustig wurde, schickte man mich mal wieder zum Abspülen an den rostigen Wasserhahn, der mitten auf dem Platz einsam aus dem rissigen Boden ragte. Vielleicht auch ganz gut so, denn die beiden wirkten aus der Entfernung zunehmend unlustig, und irgendwann wurde es unangenehm still.

    Im hellen Licht der steigenden Sonne und mit den Händen unter der rostroten Brühe hatte übrigens sogar ich eine Meinung zu diesem Campingplatz. Der Ort, an dem wir da mitten in der Nacht gelandet waren, war nichts anderes als eine staubige Fläche mit Markierungspflöcken, einem Zaun, einem Häuschen und einer Schranke. Vermutlich machte der Besitzer sein Geld nur mit Leuten, die Entfernungen falsch einschätzten und dann überraschend einen Schlafplatz benötigten. Denn freiwillig würde niemand diese öde Wüstenei als seinen Urlaubsort wählen, oder? Oder doch?!
    Ich wurde eines Besseren belehrt, als wir eine Stunde später den Campingplatz verließen und feststellten, dass manche Urlauber sich wohl tatsächlich für einen längeren Aufenthalt eingenistet hatten! Während Klappstühle und -tische schnell aufgestellt und wieder verstaut werden können, entdeckten wir ein verräterisches Detail, worauf wir diese Annahme gründeten: einen Windschutz.
    Einen Windschutz baut man nur auf, wenn man bleiben will. Denn um einen Windschutz so aufzustellen, dass er dem Wind standhält, gegen den er schützen soll, benötigt man etwas, das man im Urlaub komischerweise nicht zu haben scheint: Zeit.
    Es dauert ewig, bis das blöde Ding so verankert ist, dass es nicht beim ersten Aufhusten umkippt und beim Nachbarn in der Grillglut landet. Das tut man sich wirklich nur an, wenn man vorhat, am jeweiligen Ort länger als ein paar Tage zu bleiben.
    Ein weiterer Hinweis auf längeren Aufenthalt sind aufgepumpte Schlauchboote, denn damals gab es ja noch keine elektrischen Pumpen mit Autoanschluss oder zumindest waren sie dem breiten Publikum damals nicht zu erschwinglichen Preisen zugänglich. Die Plackerei mit den einst so verbreiteten Ballonfürzchen, auf denen man so lang hysterisch herumhopsen musste, bis das Boot ansatzweise die Form eines solchen angenommen hatte, nahm man nur auf sich, wenn man wusste, dass die Luft mindestens eine Woche in den drei Kammern verbleiben würde.
    Was auch immer diese Camper dazu veranlasst haben konnte, länger als nötig in dieser umzäunten Staubwüste zu verbleiben, blieb uns verborgen. In temporärer Einigkeit schüttelte Familie Krappweis synchron die Köpfe und verließ diesen desolaten Ort.

    Doch die Geschichte mit der Spinne war hier nicht zu Ende, denn dies ist eine der seltenen Begebenheiten, wo uns das Leben eine Schlusspointe beschert. Es begab sich am lang ersehnten Ende des Urlaubs, als wir gerade die deutsche Grenze in der einzig richtigen Richtung passiert hatten: landeinwärts. Mein Vater hatte gerade wieder irgendeinen Spinnenwitz gemacht oder einen der besonders gelungenen zum hundertsten Mal wiederholt, und meine Mutter hatte zum hundertsten Mal wieder nicht darüber gelacht. Ganz im Gegenteil: Noch ein paar mehr, und die Spinnenwitze würden Gewicht haben vor einem Scheidungsrichter.
    Lachend reichte mein Vater die Pässe aus dem Fenster und wurde sogleich durchgewunken. Niemand, der so auffällig und laut lacht, hat irgendetwas zu verstecken. (Von wegen! Man denke nur an die Gasflaschen.)
    Auf der schnurgeraden Strecke weg von dem mürrischen Beamten in seinem kleinen Häuschen fing mein Vater plötzlich an, Schlangenlinien zu fahren, als hätte er sich direkt nach der Grenze eine Grappa-Infusion gelegt. Er bremste und stoppte ziemlich inakkurat für seine Verhältnisse neben einem Tanklastzug. Dann sprang er aus dem Auto, zog eine seiner Adiletten aus und schlug nach etwas Tennisballgroßem mit langen haarigen Beinen, das ihm gerade noch über die halbnackten Füße gekrabbelt war. Die Spinne wich seinen Hieben ekelhaft geschickt aus und sprang so überraschend über seine linke Schulter nach draußen, dass wir alle kollektiv aufschrien. Kaum hatte mein Vater sich umgedreht, war das Viech auch schon mit einem vernehmbaren »Pock« gelandet und blitzschnell unter dem Tanklastzug verschwunden. Einen Moment lang sagte keiner ein Wort. Nicht
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