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Das Vorzelt zur Hölle: Wie ich die Familienurlaube meiner Kindheit überlebte

Das Vorzelt zur Hölle: Wie ich die Familienurlaube meiner Kindheit überlebte

Titel: Das Vorzelt zur Hölle: Wie ich die Familienurlaube meiner Kindheit überlebte
Autoren: Tommy Krappweis
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ohne Navi gut erkennen, denn die Straße machte keine typischen Serpentinen, sondern verlief ebenso steil wie schnurstracks direkt nach unten, und man konnte am Ende tatsächlich das Wasser glitzern sehen. Mein Vater war sofort begeistert, und noch bevor meine Mutter »Aber …« rufen und mit zitternder Hand auf die unzähligen gähnenden Schlaglöcher deuten konnte, lenkte er unseren Bus bereits auf die ungeteerte Straße und griff beherzt zur Handbremse.
    Die Fahrt nach unten war keine solche, denn ich glaube, die Räder haben sich kein einziges Mal gedreht. Mein Vater muss bis ganz nach unten durchgängig gebremst haben, denn man hörte es deutlich, und man sah es auch in Form von bläulichem Rauch, der bald unseren ganzen Bus eingehüllt hatte. Mir drängt sich heute eine Szene aus »Jim Knopf« auf, in der die Lokomotive Emma als Drache verkleidet wird und dann Feuer und Rauch speit. So ähnlich könnten wir für den ein oder anderen flüchtenden Korsen ausgesehen haben, vorausgesetzt, er hat sich auf der Flucht vor uns noch einmal umgedreht.
    Mangels Anschnallpflicht wurde ich hinten im Bus so extrem durch die Gegend geschleudert, dass ich mich irgendwann nur noch panisch an dem Stahlrohr des beweglichen Tisches festklammerte, um nicht bei jedem Schlagloch hochgeworfen zu werden und gegen den kantigen Kühlschrank zu prallen. Meine Eltern hatten während dieser Abfahrt keine Sekunde Zeit, den Blick nach hinten zu wenden.
    Mein Vater war zu sehr damit beschäftigt, nicht völlig die Kontrolle über den Wagen zu verlieren und gleichzeitig so auszusehen, als wäre das alles ein großer Spaß. Meine Mutter war zu sehr damit beschäftigt, panisch zu schreien – nur unterbrochen von den seltsamen Kieksern, die sie jedes Mal ausstieß, wenn sie wieder hart auf den Sitz oder mit dem Kopf gegen die Decke prallte.

    Als wir irgendwann tatsächlich lebend unten angekommen waren, fand man mich zugedeckt von allem, was mein Vater so sorgsam hinter den vielen Klappen verstaut hatte. Hinzu kamen diverse Taschen, die Kissen von der Eckbank mitsamt der hölzernen Versteifung, so dies und das aus dem Kühlschrank und natürlich die unvermeidliche 1,5-Liter-Flasche Curry-Ketchup. Ich hasse den Geruch bis heute.
    Meine Mutter öffnete die Doppeltüre des Busses, und es ergoss sich der ganze Kram mitsamt dem Sohn in den grobkörnigen Sand. Mein Vater lachte, meine Mutter weinte, und ich weiß nicht mehr, ob ich irgendwelche Geräusche von mir gab.
    Ich weiß nur noch, dass uns eine Gruppe Menschen stumm anstarrte und irgendwer fragend auf die Straße zeigte, die wir gerade heruntergeschlittert waren. Mein Vater nickte stolz. Das Gegenüber machte eine Geste, die man vielleicht am besten mit »Wischiwaschi« bezeichnet, und dann gingen sie alle brummelnd weg. Später erfuhren wir, dass es sich bei dieser Straße mitnichten um die offizielle Zufahrt zu diesem Campingplatz handelte, sondern um einen ausgetrockneten Bachlauf. Das erklärte vieles.

Die Spinne
    V ielleicht haben Sie schon mal von dieser urbanen Legende gehört. Es ist immer irgendwer, der irgendwen kennt, dem das passiert sein soll: Dieser Irgendwer bekommt eine eingetopfte Yucca-Palme geschenkt, und als er sie gießt, hört er ein seltsames quietschendes Geräusch, das sich dann als eine riesige Spinne entpuppt, die wohl kein Wasser mag. Wahlweise gibt es diese Wandersage auch mit einer toten Giftspinne, die irgendwo gefunden wird, oder mit den unvermeidlichen kleinen Spinnen, die schlüpfen und in der Wohnung rumwuseln. Wir erlebten eine weitere Version. Direkt, ohne Umwege über wen, der irgendwen kennt, und ohne Palme, aber dafür mit Auto.

    Es war, soweit ich weiß, auf dem Weg nach Egal-es-ist-überall-heiß-und-scheiße-Land. Nach einer ewigen Gewaltfahrt, auf der mein Vater mal wieder beweisen wollte, dass Schlaf generell überschätzt wird, bestand meine Mutter irgendwann doch auf einer Pause.
    »Hier?!«, fragte mein Vater ungläubig.
    »Ja, hier und jetzt.«
    So fanden wir uns also am staubigen Rand einer größeren Straße wieder, auf der die Egal-es-ist-überall-heiß-und-scheiße-Land-Bewohner hupend vorbeidonnerten und uns dabei mit bläulichem Qualm aus ihren Rostlauben eindeckten. Es ist mir heute sowieso völlig unbegreiflich, wie wir es damals überhaupt vor Einführung des Katalysators aushielten und warum wir nach wie vor am Leben sind.
    Dort am Straßenrand genossen meine Eltern ein paar Tassen Schock-belebenden Filterkaffees und diese elenden
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