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Das Vorzelt zur Hölle: Wie ich die Familienurlaube meiner Kindheit überlebte

Das Vorzelt zur Hölle: Wie ich die Familienurlaube meiner Kindheit überlebte

Titel: Das Vorzelt zur Hölle: Wie ich die Familienurlaube meiner Kindheit überlebte
Autoren: Tommy Krappweis
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Fahrt Richtung Italien noch einmal entnervt umdrehte, weil wir meinen Kassettenrekorder zu Hause vergessen hatten. Das Gejammer war ihm dann wohl noch mehr auf die Nerven gegangen als das ewige »Pumuckl versteckt und niemand was meckt!«
    Zu Hause hatte ich damals übrigens auch eine Schallplatte, und zwar das »Lied der Schlümpfe« von Vadder Abraham. Leider handelte es sich dabei um eine Single, und Singles waren nun mal immer so schnell vorbei, dass man das Legobauen laufend unterbrechen musste, um den Tonarm wieder geräuschvoll an den Anfang der Platte zu schmettern. Darum ging ich ziemlich rasch dazu über, die Single in dem langsameren Tempo für Langspielplatten abzuspielen. Das hatte den Vorteil, dass das Lied deutlich länger dauerte und ich somit auch nicht mehr so oft aufstehen musste. Der Nachteil war jedoch unüberhörbar: »Dööör Flööötooonnnschlumpfff föööngggdd onnnnn …«
    Vielleicht war das der Grund, warum ich kurz darauf meine erste Langspielplatte geschenkt bekam, aber jetzt zurück zum Campingurlaub.

    Da ich ziemlich früh mit dem Lesen begonnen hatte und das neben Legobauen und Marionettenspielen schnell zu meiner dritteinzigen Hauptbeschäftigung wurde, wich der Stapel Hörspielkassetten bald einem stehenden Klafter Bücher aus der städtischen Leihbibliothek. Man durfte vierzehn Stück auf einmal ausleihen, und genau so viele nahm ich auch in die Urlaube mit, fest entschlossen, wirklich gar nichts zu tun, außer mein kleines Zelt aufzubauen und die endlosen Tage dort drin mit meinen Büchern zu verbringen.
    Leider war es jedes Mal das Gleiche: Wir zuckelten tausend Millionen Stunden mit dem Bus über die Autobahnen ins Urlaubsland und dort nochmals tausend Millionen Stunden über irgendwelche Autoputs auf der Suche nach dem urigsten Campingplatz. Kaum waren wir endlich irgendwo angelangt, hatte ich meine Bücher auch schon ausgelesen – und das in einem brüllend heißen Bus, der damals natürlich nicht über eine Klimaanlage verfügte, sondern nur über zwei Klappfenster, die man entgegen der Fahrtrichtung schräg stellen konnte.
    Somit hatte ich die Wahl zwischen Brüten und Lärm. Das größere der beiden Klappfenster bot leider auch entsprechend mehr Windwiderstand und blieb demzufolge nur offen, wenn man sich dagegenstemmte. Also verbrachte ich viele Stunden liegend auf der Eckbank, die Füße gegen das Fenster gedrückt, um nicht zu ersticken. Mit der einen Hand presste ich meinen Kassettenrekorder ans linke Ohr beziehungsweise hielt das Buch hoch und drückte das Ohr gegen die Lehne der Eckbank. Mit der anderen Hand hielt ich mir das rechte Ohr zu. Wenn mein Körper dann irgendwann schmerzhaft verkrampfte und ich den Druck auf das Fenster nicht mehr aufrechterhalten konnte, schloss es sich ganz von selbst mit einem lauten Knall. Dann herrschte vergleichsweise Ruhe, dafür wurde es aber innerhalb weniger Sekunden unerträglich heiß.
    Meinen Eltern ging es vorne sicher nicht anders, aber die schien das nicht zu stören! Die Hitze, der Wind und all die anderen Unannehmlichkeiten waren wohl Teil dieser »Freiheit«, die sie da empfanden, und somit ganz ausdrücklich willkommen. Es kam eben einfach darauf an, wie man die Dinge empfand.
    Aber ich war leider nicht in der Lage, mich selbst zu hypnotisieren, um meinen Frust in Freude umzuwandeln. Okay, ich wollte es auch gar nicht. Ich wollte nur eines, und zwar nach Hause. Da das aber in weiter Ferne lag, sowohl zeitlich als auch räumlich – Tendenz steigend – blieb mir nichts anderes übrig, als mich wieder gegen das Fenster zu stemmen, sobald die Schmerzen in den Gliedern und am Ohr nachgelassen hatten.

Der perfekte Platz
    D er perfekte Platz für einen Campingurlaub musste für meinen Vater vor allem eines sein: urig.
    Urig ist ein dehnbarer Begriff und bedeutet irgendwas zwischen »wuchtig, romantisch, einsam, archaisch, zerklüftet, düster, wellenumtost« und »bar aller Anzeichen von Zivilisation«. Letzteres schließt auch sanitäre Anlagen mit ein.

    Ja, mein Vater war und ist Wildcamper mit Leidenschaft. Ein tatsächlicher Campingplatz wurde nur angesteuert, wenn sich dort sonst nichts fand. Und man bedenke, wie die Suche vonstattenging in den Zeiten vor Internet und Google Maps. Um einen Ort als campingwert oder -unwert zu befinden, musste man diesen erst einmal aufsuchen und sich live mit eigenen Augen umsehen. Heutzutage suchmaschint man einfach nach versteckten Orten und Camping-Geheimtipps im
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