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Das Vorzelt zur Hölle: Wie ich die Familienurlaube meiner Kindheit überlebte

Das Vorzelt zur Hölle: Wie ich die Familienurlaube meiner Kindheit überlebte

Titel: Das Vorzelt zur Hölle: Wie ich die Familienurlaube meiner Kindheit überlebte
Autoren: Tommy Krappweis
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zu sein. Bald formt sich die Vorstellung in meinem Kopf, wie schön es doch wäre, jetzt auf der Couch ein Buch zu lesen. Oder irgendwas anderes zu tun, was man vorrangig alleine macht. Insofern weiß ich auch, dass es sicher nicht leicht war, mit einer Spaßbremse wie mir in den Urlaub zu fahren. Andererseits weiß ich aber auch, dass ich meiner Tochter zuhören werde, sie wahrnehmen möchte! Und ich argwöhne, dass es den Vorstellungshorizont meiner Eltern schlichtweg überstieg, dass ein kleiner Junge keinen Spaß beim Camping haben könne. Und darum wurde mein Gejammer ignoriert.
    »Der Bua wird scho seng, wia schee dass des dann is«, lautete das gängige Argument meiner Eltern. Bezeichnenderweise in meinem Beisein geäußert.
    Das macht es aber auch nicht wahrer. Ich erinnere mich an einen Skiausflug, bei dem ich es durch anhaltenden, mehrstündigen Protest während der Anreise schließlich schaffte, nicht mit auf den Berg zu müssen. Ich durfte stattdessen im Bus auf dem Parkplatz bleiben. Das liest sich sicher seltsam, aber ich empfand es tatsächlich als ein »dürfen« und somit durchgehend positiv! Ich durfte im Auto bleiben, ich durfte den ganzen Tag in Ruhe lesen, zeichnen oder dösen und dabei Hörspielkassetten hören! Urlaub! Schön.
    Währenddessen kämpften sich meine Eltern den wolkenverhangenen Berg rauf und runter, denn mein Vater liebte es, wenn das Wetter im Skigebiet eher ungastlich war. Der Grund: »Dann san die Pistn leer, und ma fahrt einfach an den Lift hi und muas ned wartn!« Was soll man dazu sagen außer: Warum in Gottes Namen sind die Pisten wohl leer?! Warum wohl?!
    Gerne hätte ich diese Buchstaben eurythmisch tanzen, im Takt der Silben auf und ab hopsen oder es in kindlicher Raserei immer und immer wieder brüllen können, während ich den Kopf gegen die Wand schlage. Es hätte nicht einmal etwas geholfen, meinem Vater die Worte auf die Netzhaut zu tätowieren (in Spiegelschrift natürlich). Selbst wenn die Frage nach diesem chirurgischen Eingriff für den Rest seines Lebens leicht wässrig vor ihm in der Luft geschwebt wäre, sobald er die Augen aufschlägt; er hätte darauf keine Antwort gehabt. Die Frage nach dem »Warum« macht in der Welt meines Vaters nämlich schlichtweg keinen Sinn, denn mein Vater denkt:
    »Es macht Spaß, weil es mir Spaß macht, also macht es Spaß. Wer dazu keine Lust hat, der hat es eben noch nicht probiert. Denn hätte er es probiert, wüsste er ja, dass es Spaß macht, und würde es ebenso wollen. Also probiert er es jetzt, und dann macht es ihm auch Spaß.«

    Aufgrund dieser höchst bestechenden Logik wurde ich also die Jahre über immer wieder genötigt, Dinge auszuprobieren, bis sie mir dann endlich Spaß machten. Gar nicht überraschenderweise funktionierte das jedoch nie. Das war aber natürlich kein Grund, den therapeutischen Ansatz zu überdenken. Nein, der einzige Grund, den mein Vater sich vorstellen konnte, war, dass ich vielleicht nicht die richtige Ausrüstung hatte.
    Als begeisterter und höchst erfolgreicher Radrennfahrer wusste er, dass man auf einem schlechten Rad weder Spaß noch Erfolg haben konnte. Also wurde meiner Unwilligkeit generell begegnet mit einer stoischen Form technischer Aufrüstung.
    Ich kann gar nicht zählen, wie oft er mich auf neue, noch unbequemere, schmalsattelige Rennräder setzte, meine Füße in ein neues Modell Skischuhe zwängte, mir andere Skier darunterschnallte oder mir hinterrücks Tauchermaske und Schnorchel ins Gesicht wobbelte, um mich danach auf hoher See aus dem Schlauchboot zu schubsen.
    Nun gut, mag man sich vielleicht fragen, wo ist das Problem, etwas geschenkt zu bekommen? Sieht man mal von der Tatsache ab, dass ich als Beschenkter jedes Mal genötigt wurde, mich der Benutzung des Geschenkes immer und immer wieder zu verweigern. Es störte mich keineswegs, dass sich unser kleiner Keller unaufhörlich mit ungenutztem Sportgerät in gestaffelten Kindergrößen füllte. Das eigentliche Problem lag ganz woanders: Dieser Kram blockierte alle wichtigen Geschenkfeste!
    Ich wünschte mir die ganze Kindheit hindurch eigentlich immer die gleichen drei Dinge: Lego, Marionetten und Super-8-Filmrollen. Geburtstage, Ostern und Weihnachten waren aber verstopft mit Skiern, Rädern und Trikots mit draufgesticktem »Tommi«, weil es in der Näherei kein »Y« gab!
    Vielleicht erklärt sich nun meine Verweigerungshaltung ein wenig. Mal abgesehen von der angeborenen Charaktereigenschaft des Einzelgängertums
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