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Das verplante Paradies

Das verplante Paradies

Titel: Das verplante Paradies
Autoren: Peter Tate
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den Dingen, die der Mensch nicht weiß , und jenen, die er nicht versteht . Was er nicht weiß, kann er herausfinden. Was er aber nicht versteht, das soll er oft auch gar nicht wissen.“
    „Die Religion braucht also Rätsel?“
    „Mysterien und Geheimnisse sind dazu da, um den Glauben zu prüfen.“
    „Wozu?“
    „Weil der Glaube geprüft werden muß .“
    „Dem würde ich zustimmen“, sagte Simeon. „Aber ich möchte auch behaupten, daß der Glaube nicht eine Frage der Ausdauer ist … es ist keine Prüfung, wenn man sich in seliger Erwartung lässig zurücklehnt. Man muß seinen Glauben zeigen. Man muß sich mit Leuten auseinandersetzen, die ihn leugnen. Man muß mit Mut seine … Überzeugungen bekennen.“
    Pater McKenzie erhob sich. „Eben dies ist es, was wir tun.“
    „Nein. Wir sind den anderen weit voraus, weil wir intelligente Menschen sind. Wir sind bereits weit genug fortgeschritten, um zu erkennen, daß es in allen Dingen einen Kompromiß gibt, der für alle akzeptabel ist. Aber Kompromisse sind verdächtig. Sie sind nicht endgültig. Sie sind nur Mittel zum Zweck … so wie der ökonomische Kongreß in den sechziger Jahren ein Mittel gewesen ist, um protestantische Geistliche mit dem Katholizismus zu infiltrieren. Selbst die Protestanten haben inzwischen begriffen, daß es ein Rückschritt um vierhundert Jahre war. Ich selbst sehe es als einen neuen Seitentrieb, der sich vom Stamm, von den Wurzeln entfernt …“
    In diesem Augenblick brach Alma über sie herein, mit einem Schlag, der sich anhörte, als ob eine Million Quadratmeter Leinwand gleichzeitig zu flattern begännen. In der Kirche barst ein Fensterladen und das Fenster zerbrach. Tausend bunte Splitter wurden über den Boden verstreut. Die Deckenbalken stöhnten. Ein Dutzend Dachziegel lösten sich, aber niemand hörte sie fallen. Alma stemmte ihre Schulter gegen die eine Wand, während die Menschen sich in die Kirchenbän ke drückten und Schutz suchten. Jeder trug sein eigenes Vakuum aus Panik und Furcht um sich herum.
    McKenzie saß im Windschatten der Kanzel. Er blickte sich in der Kirche um. Simeon stand ruhig und breitbeinig mitten im Raum. Er ließ die Böen von sich abprallen.
    Die anderen waren mehr oder weniger unsichtbar. Nur hier und da wurde zwischen dem Schnitzwerk der Kirchenbänke eine Schulter, ein Fuß oder ein paar Haare sichtbar.
    Niemand sprach. Niemand jammerte. Irgend jemand atmete schwer und suchte mühselig nach Erleichterung. Eine Sprayflasche fügte zu den Windstößen, die die Kirche erschütterten, noch ein weiteres Zischen hinzu.
    Das Geräusch elektrisierte Simeon. Er entdeckte Latimer und zog ihn neben sich auf den Sitz. „Auf dem Boden ist viel zuviel Staub“, rief er laut. „Kommt lieber hoch!“
    Nur Julie tauchte auf. Der Rest verblieb in geduckter Haltung, entspannte sich höchstens ein bißchen, das konnte McKenzie nicht erkennen. „Es sieht so aus, als ob nicht alle Ihre Begeisterung für Selbstmord teilten“, sagte er.
    „Es ist ein Unterschied, ob man willentlich das eigene Leben zerstört oder ob man einfach keine Angst vor dem Tod hat“, sagte Simeon. „Auch das ist Glaube, falls Sie es nicht wissen sollten. Wenn Sie alledem hier“ – er wies auf die geduckte Versammlung – „überhaupt eine Bedeutung beimessen, dann denken Sie daran, daß wir alle noch etwas Zeit brauchen.“
    „Und dieser Glaube von Ihnen wird herabfallende Ziegel von Ihnen fernhalten und stürzende Balken in der Luft erstarren lassen?“
    Simeon ließ Latimer zurück und ging im Mittelgang auf den Priester zu. „Wissen Sie … ich habe einige Schwierigkeiten, in dem kirchentreuen Pater McKenzie von heute den zeitgenössischen Philosophen wiederzu erkennen, der erst kürzlich sämtliche traditionellen Ornamente aus dieser Kirche entfernt hat. Was ist denn los gewesen? Haben Sie einen Luftposteilboten vom Papst gekriegt?“ Er sprach etwas leiser, so daß ihm McKenzie vertraulich antworten konnte. Sein Ton war nicht sarkastisch, sondern besorgt. Diese plötzliche Wärme mitten im Streit traf den Priester unvorbereitet.
    „Es ist mir lediglich klar geworden, daß allzuviel Vertrauen in Sie genauso gefährlich ist wie die Alternative“, sagte er.
    „Und deswegen haben Sie sich entschlossen, zur Alternative zurückzukehren? Das ist doch einigermaßen widersinnig, finden Sie nicht?“
    McKenzie gab keine Antwort. Damals, als Simeon zum ersten Mal in die Kirche gekommen war, hatte er einfach ein gemeinsames
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